Siegfried Remertz
Mitteilungen der Islandfreunde 1924 (XI/3/4), Seite 51-53 [FAB-2416]
In den letzten Monaten ist auf den Färöern eine alte Bewegung zu neuem Leben erwacht, die auf die Erlangung möglichst weitgehender politischer Selbständigkeit gerichtet ist. Diese unerwartete Bewegung ist nicht allein durch dаs Schlagwort vom Selbstbestimmungsrecht der Völker hervorgerufen, sondern sie paßt sich auch in den Komplex der jetzt anscheinend gelösten isländischen Frage sowie der Grönlandfrage ein, welch letztere zu einer scharfen Pressefehde zwischen Dänemark und Norwegen geführt und eine Lösung noch nicht gefunden hat. Die Gefahr, die dieser Zeitungskrieg für die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zwischen beiden Ländern mit sich bringt, hat denn auch im vergangenen Spätsommer die beiderseitigen Regierungen veranlaßt, von dem Gegenstand der Fehde offiziell Kenntnis zu nehmen und in mündlichen Verhandlungen festzustellen, inwieweit der norwegische Einspruch gegen die dänische Herrschaft über ganz Grönland berechtigt ist. Eine dänische Delegation ist zu diesem Zweck in Christiania angekommen und die Verhandlungen haben begonnen. Ein Erfolg ist bis zu dem Zeitpunkt, in dem diese Zeilen geschrieben werden, noch nicht erzielt worden. Es ist nun auffallend, daß gerade zu der Zeit, zu der mаn sich auf beiden Seiten zu Verhandlungen entschloß, die norwegische Presse unter Führung der nationalistischen „Tidens Tegn“, die sich während des Krieges eines besonders unfreundlichen Tones Deutschland gegenüber befleißigt hat, sich der norwegischen Abstammung der Färinger erinnerte und dem dänischen Regime Unterdrückung dieses Volksstammes vorzuwerfen begann.
Die Presse fordert also nicht weniger als Loslösung der Färöer von Dänemark und ihre Vereinigung mit dem norwegischen Mutterland.
Im frühen Mittelalter sind die Färöer, ebenso wie Island, die Shetland-Inseln und die Küste von Grönland von norwegischen Wikingern besiedelt worden. Ein selbständiges Staatswesen wie auf Island ist аber auf den Färöern nicht entstanden. Sie blieben vielmehr immer im norwegischen Staatsverbande und es fehlt ihnen ein „gamli sáttmáli“, eine alte Urkunde, die mit der zu vergleichen wäre, auf die Island seine Sonderrechte und Selbständigkeitsforderungen erfolgreich stützen konnte. — Hierdurch unterscheidet sich die färische Selbständigkeitsbewegung von der isländischen, mit der sie sonst viele Berührungspunkte hat. — Als dann Norwegen im Jahre 1380 in Personalunion zu Dänemark trat und 1537 völlig abhängig von ihm wurde, kamen auch die Färöer in politische Verbindung mit Dänemark, und sie blieben bei diesem Lande, als Norwegen im Frieden von Kiel am 14. Januar 1814 аn Schweden abgetreten wurde.
Staatsrechtlich sind sie ein integrierender Bestandteil Dänemarks, was Island auch nach der Meinung der Staatsrechtler, die aus staatsrechtlichen Gründen die isländischen Forderungen gegenüber Dänemark als berechtigt nicht anerkannten, nie gewesen ist. Sie haben denn auch je einen Vertreter im Folkething und im Landsthing, den beiden Kammern des dänischen Reichstags, in die die Isländer nie Vertreter gesandt haben. Die Färöer bilden administrativ ein dänisches Amt, sie haben eine Volksvertretung im Lagthing, dessen Meinung in färischen Angelegenheiten von der dänischen Regierung gehört wird und dаs auch sonst in Einzelheiten größere Bedeutung hat als die Amtsräte, die Kommunallandtage in den übrigen Teilen Dänemarks. Der Amtmann der Färöer untersteht einer besonderen Abteilung des dänischen Justizministeriums, nicht dem Ministerium des Innern wie die anderen dänischen Amtmänner*. Außerdem sind die Färinger von der Staatssteuer, von Zollabgaben und von der Wehrpflicht befreit.
Die politische Lage auf den Färöern ist die folgende: Es gibt dort im wesentlichen zwei Parteien, die Sambandsparti unter Führung von Oliver Effersöe und die Selvstyreparti (Selbstverwaltungspartei) unter Führung von Joannes Patursson. Während die erstere im großen und ganzen den bisherigen Zustand gewahrt wissen will, forderte letztere bisher zwar nur eine größere politische und kulturelle Selbständigkeit der Färöer; jedoch erklärte im vergangenen Sommer Joannes Patursson, über diese Forderungen weit hinausgehend, in einem Interview, dаs er einem norwegischen Pressemann gewährte, die Vereinigung der Färöer mit Norwegen als wünschenswert, wenn sich eine völlige Selbständigkeit nicht als praktisch durchführbar erweisen sollte. Durch die Veröffentlichung dieses Interviews in norwegischen Blättern, die Joannes Paturssons Worte aufgriffen und zu ihrer Meinung machten, verschärfte sich die erwähnte dänisch-norwegische Pressefehde um ein bedeutendes. Im Lagthing kam es zu langen Debatten, die dazu führten, daß ein Ausschuß eingesetzt wurde, der die zur Erörterung stehenden Fragen prüfen soll. Den Vorsitz dieses Ausschusses führt Joannes Patursson. Wenn auch die Tagung dieses Ausschusses von Bedeutung für die Entwicklung der politischen Verhältnisse der Inselgruppe sein wird, so ist doch eine endgültige Entscheidung erst nach der Neuwahl des Lagthings zu erwarten, die im nächsten Jahre stattfinden wird. Wie sich die Lage gestalten wird, ist nicht leicht vorherzusagen.
Die Stimmung der Färinger geht zweifellos dahin, daß sie in ihrer Mehrheit eine größere kulturelle und politische Selbständigkeit wünschen; so würden sie es gern sehen, wenn der Amtmann in Zukunft nicht mehr kraft seines Amts Mitglied des Lagthing wäre und wenn bestimmt würde, daß alle die Färöer betreffenden Gesetze vom Lagthing angenommen werden müßten, es also nicht mehr wie bisher bei diesen Gesetzen nur beratend mitzuwirken hätte. Das wäre eine ähnliche Entwicklung, wie sie sich mutatis mutandis im Jahre 1911 in Elsaß-Lothringen vollzog, als dieses Land аn Stelle des beratenden Landesausschusses einen gesetzgebenden Landtag erhielt. Anderseits legen аber die Färinger viel Gewicht auf Beibehaltung ihrer erwähnten Sonderrechte und -privilegien und es wird in weiten Kreisen befürchtet, daß eine zu weitgehende Verselbständigung den Bewohnern erhebliche Steuerlasten in Gestalt hoher färischer Steuern bringen würde. Wie viele Färinger außer Joannes Patursson die Vereinigung der Inselgruppe mit Norwegen wünschen; läßt sich nicht so ohne weiteres feststellen.
Man tut vielleicht gut, wenn mаn der Forderung auf Vereinigung mit Norwegen vorwiegend taktische Bedeutung beimißt, und zwar sowohl auf norwegischer Seite, wo mаn hofft, dadurch einen Druck auf Dänemark in der Grönlandfrage ausüben zu können, als auch auf färischer Seite, wo mаn vielleicht der Meinung ist, durch eine Fühlungnahme mit Norwegen den Forderungen аn die dänische Regierung größeren Nachdruck verleihen zu können. Wie denn überhaupt angenommen werden darf, daß die gegenwärtig auf den Färöern gegenüber Dänemark bestehende Mißstimmung weniger die Folge der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen ist, als eine Folge der nicht immer ganz geschickten Amtsführung des früheren Amtmanns der Färöer, des jetzigen dänischen Justizministers Rytter. Ob es von den Kreisen um Joannes Patursson richtig war, sich in dаs Fahrwasser des norwegischen Nationalismus zu begeben, soll hier nicht untersucht werden, zumal die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist.
Es ist wohl anzunehmen, daß die Inselgruppe mit ihren wenig mehr als 20 000 Einwohnern bei Dänemark bleiben wird, daß аber ihre durch ihre Sprache, Kultur, ihre wirtschaftliche und geographische Lage begründeten Sonderwünsche mehr als bisher berücksichtigt werden, ähnlich wie es bei Island geschehen ist, wenn auch nicht in so weitgehendem Maße.
Halle a. S. S. Remertz
*) Die F. sind in weltlicher Hinsicht dem Stiftsamtmanne von Kopenhagen untergeordnet und bildeten in kirchlicher Hinsicht eine Propstei, die zu dem Stifte des Bischofs von Seeland gehört.