Carl Chun
Aus den Tiefen des Weltmeeres 1900, Seite 48-50 [FAB-0374]
Das Gelingen der ersten Lotungen, Dredschzüge und Temperaturserien wurde wesentlich durch dаs für diese Gegenden ungewöhnlich prächtige Wetter begünstigt. Es war für uns ein wahrer Hochgenuß, als wir am Sonntag, dem 7. August, bei wolkenlosem Himmel die südlichste der Faröer-Inseln, nämlich Suderoe, umfuhren. Kühn ragt sie mit steil abfallenden Wänden aus der blauen See hervor, bedeckt mit grünen Matten, welche nach aufwärts in Haidekrautflächen, und mit isländischem Moos bestandene Strecken übergehen. Man wird nicht müde, die malerischen Landschaftsbilder, den Wechsel von sanft zum Meere sich neigenden Thalflächen und grotesken Steilabstürzen mit ihren tiefen Schluchten zu bewundern. Nun gar diese Pracht des nordischen Vogellebens! Wie weiße Wolken wirbeln die Möven (Larus tridactylus und marinus) auf und sammeln sich dann, eifrig fischend, im Kielwasser des Schiffes, haben sie einen fetten Bissen erwischt, so stürmt mit lauteni I—oh eine braune Raubmöve (Lestris parasitica) heran und ruht nicht eher, als bis sie der gellend schreienden Verwandten die Beute abgejagt hat. Zuthunlich umkreisen uns die Seeschwalben (Sterna arctica) mit ihrem munteren Ruf, während in langgezogenen Reihen die schnarrenden Papageitaucher Mormon fratercula), untermischt mit Haufen lustig tauchender Lummen (Uria arra) auf der glatten Fläche schwimmen. Vereinzelte Kormorane (Phalacrocorax carbo) gesellen sich zu den Sturmvögeln (Procellaria glacialis), deren eleganten, fast taubenartigen Flug über die Wogenkämme wir nach dem Verlassen der Faröer noch sattsam zu bewundern Gelegenheit fanden.
Auf einen pfiff mit der Dampfpfeife hin, der weithin den Widerhall von den Wänden weckte, wirbelte dаs alles fast sinnverwirrend in die Höhe, während aus den kleinen gegenüberliegenden Ortschaften Kvalbo und Kvalvig die Einwohner samt dem Pastor aus der einfachen Kirche längs der dunkeln Steinhäuser nach dem Strande rannten.
Als wir bei dem Umfahren von Suderoe uns dem 62. Breitengrad genähert und damit den nördlichsten Punkt unserer ganzen Reise erreicht hatten, grüßten die übrigen Inseln der Faröer-Gruppe in violettem Duft herüber, während zur Rechten dаs originelle Eiland Kille Simon einen wirkungsvollen Abschluß dieser unvergleichlichen Scenerie abgab.
Die Stimmung war allseitig eine gehobene: hatten sich doch alle Einrichtungen trefflich bewährt und dаs Vertrauen auf einen glücklichen Verlauf der Expedition gestärkt. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, daß die großen Schleppnetze sowohl bei den Faröer wie auch bei den Versuchen der nächsten Tage mehrmals sich überschlugen und mit leerem Beutel аn die Oberfläche gelangten. Wir schrieben dies anfänglich der Einwirkung von Unterströmungen zu, und ich begann ein Tiefennetz zu konstruieren, bei dem der gesamte Beutel in den eisernen Rahmen eingeschlossen ist, so daß ein Unklarwerden ausgeschlossen erscheint. Späterhin überzeugten wir uns indessen, daß wir offenbar die Netze zu rasch in die Tiefe herabgelassen hatten, wobei der einen starken Reibungswiderstand findende Netzbeutel langsamer sinkt als der vor ihm befestigte eiserne Schlitten. Als wir dаs durch eiserne Oliven beschwerte Netz langsam und vorsichtig, freilich auch unter erheblich größerem Zeitaufwand, versenkten, traten derartige unliebsame Fehlschläge nicht mehr ein.
Nach dem Umfahren der Insel Suderoe setzten wir den Kurs südwestlich und später rein südlich in der Richtung auf die Kanarischen Inseln.


