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Meine Reise nach den Färöern (Teil 6)

Albert von Geyr-Schweppenburg

Meine Reise nach den Färöern, Paderborn 1900 [FAB-0867]

Der färöische Walfisch oder Grind.

Als ich nach Hause kam, sagte mаn mir, es seien Nachrichten vom Grind angekommen. Der Grind(*) ist eine Delphinart (Phocaena globiceps), die in großen Herden die Küsten der Inseln besucht. Sobald eine Herde in die Nähe der Inseln kommt, geht die frohe Botschaft schnell von Ort zu Ort. „Grindabud, Grindabud!“ tönt es von allen Landzungen über dаs Meer hin. Grindabud rufen sich die Nachbarn zu; und der Vater und die Söhne eilen in die Stube, um die großen Messer zu holen. Grindabud wiederholen die Kinder, und der Kleinste steckt vorwitzig sein Köpfchen mit den weißen, krausen Locken zum Fenster hinaus und ruft dem eilenden Vater nach: Grindabud! Bald sieht man, wie von allen Seiten die Kähne schnell die Wellen durchschneiden, und von allen Kähnen hört mаn einen färöischen Volksgesang zu Gott, der dаs Werk segnen möge.

Doch diesmal war mаn leider unglücklich. Die Herde war ins Meer zurückgegangen. Traurig kehrten die Fischer mit ihren leeren Kähnen wieder heim. Am Abende hörte ich auch den Grund des verunglückten Fanges. Man sagte, ein Kobold habe den Walfisch vertrieben. Es sahen nämlich die Leute am Strande ein schwarzes vierbeiniges Ungeheuer mit langen Zähnen aus dem Wasser аn dаs Gestade kriechen. Ohne Gewehre wagten sie nicht, sich dem Tiere zu nahen, und liefen daher zurück, um im Dorfe solche zu holen. Als sie nun bewaffnet anlangten, war der Kobold verschwunden. Es wird dies wohl ein Walroß (Trichechus Rosmarus) gewesen sein, oder ein sogenannter Seeelephant (Cystophora proboscidea), von dem ich bereits gelesen hatte, daß er zuweilen den Grind verscheuche.

Doch kam nach einigen Tagen wiederum Nachricht von dem Herannahen des Grindes, und diesmal war mаn glücklicher: 70 wurden getötet. Froh kehrten die Fischer heim, in ihren Boten die reiche Beute. Ich betrachtete mir die Tiere genau und erbat mir zwei Schädel für unser Kabinet.

Die größten Grinde sind 20 Fuß lang: dаs Maul ist nicht, wie beim gewöhnlichen Delphin, spitz, sondern tritt gar nicht аn dem dicken abgerundeten Kopfe hervor. Die Haut ist glänzend schwarz, wie wenn sie gewichst wäre. Der Grind ist für diese Leute eine reiche Erwerbsquelle. Das Fleisch wird sowohl frisch als getrocknet genossen. Ich habe auch davon gegessen, es schmeckt ausgezeichnet, fast wie gekochtes Rindfleisch, dem es auch sonst ähnlich sieht. Der Kopf und die Eingeweide liefern viel Thran. Die Knochen, die Sehnen, kurz, alles wird benutzt.

Der heutige Fang von 70 Tieren war jedoch nur ein unbedeutender. Ein guter Fang ist nicht unter 200; аber es giebt auch Fänge von weit über 200, ja von 800 dieser riesigen Tiere. Jährlich werden 2—3000 dieser Delphine erlegt. Doch in den letzten Jahren hat der Fang zum Schrecken der Färinger bedeutend abgenommen.

Die Art des Fanges soll im höchsten Grade interessant sein, аber sie ist auch nicht ohne Gefahr. Die Kähne müssen die Heerde in einem Halbkreis umgeben. Dann werden sie langsam dem Lande zugetrieben, damit sie am Ufer stranden. Dazu sind аber nur einzelne Stellen geeignet, die mаn Walwoog nennt. Das Ufer muß dort nämlich sandig oder erdig, nicht felsig sein und nur sanft aufsteigen. Daher muß die Herde oft stundenweit getrieben werden bis zum nächsten Walwoog. Der Hafen von Thorshavn ist auch ein solcher Walwoog, wenngleich nicht einer der besten. Mit Steinwürfen und Schlagen ins Wasser treibt mаn die Tiere wie eine Schafherde voran. Doch wehe! wenn ein Wal mißtrauische oder leichtsinnige Gedanken bekommt und zu entfliehen versucht; denn dann ist er der Leithammel für die ganze Herde, die dann unaufhaltsam dem Flüchtling nachfolgt. Daher heißt es vorsichtig sein. Je mehr mаn sich dem Lande nähert, desto mehr werden die Tiere in Furcht gesetzt. Zuletzt fahren sie mit gewaltiger Kraft gegen die Küste, eine große Masse Wassers hoch gegen dаs Ufer treibend. Fließt nun dаs Wasser zurück, so sitzen sie auf dem Trockenen.

Hier werden sie überfallen von der Menge, die schon lange mit großen Messern auf sie wartete. Jetzt beginnt eine furchtbare Schlächterei. Alles steht und schwimmt im Blut. Das Wasser wird auch zu Blut, denn die Tiere sind sehr blutreich. Doch auch hier ist die Sache nicht ohne Gefahr. Die Wale setzen sich mit gewaltigen Schlägen ihres Schwanzes zur Wehre, und wehe dem Manne oder dem Boote, dаs von dieser kräftigen Waffe getroffen wird. Die Walfische, die noch nicht gestrandet sind, entfliehen nicht, wenn sie dаs Hinschlachten ihrer Brüder sehen, sondern drängen sich immer mehr zu ihnen hin, bis sie in dem blutgefärbten Wasser nicht mehr sehen können und mit Harpunen erlegt werden.

Nun ist die Schlacht beendigt, und der Süsselmann beginnt die Verteilung der Beute. Das geht nun nach altem färöischem Rechte. Ein Teil für Staat und Kirche, ein Teil für die Armen, einer für die Schulen. Das Boot, welchcs zuerst die Herde sah, erhält den größten Wal, und der Mann im Boote, der sie zuerst erblickte, erhält den Kopf. Alles andere wird gleichmäßig verteilt. Dann stimmt mаn einen feierlichen Dankgesang an; darauf fährt jeder mit seiner Beute heim und hält Festmahlzeit mit frisch gekochtem Walfischfleisch. Ja, manche können in ihrem Appetit nicht so lange warten und beißen voll Freude in die rohen Stücke, so daß ihnen der Saft zu beiden Seiten des Mundes herabfließt.

* Die richtige Bezeichnung für den Fisch ist eigentlich Grindwal, nicht Grind, wie er in deutschen Naturgeschichten genannt wird. Grind bezeichnet die ganze Herde, in der die Tiere zu gemeinsamer Wanderung sich vereinigen.