Albert von Geyr-Schweppenburg
Meine Reise nach den Färöern, Paderborn 1900 [FAB-0867]
Das verlassene Missionsgebäude, Pastor Bauer, zweiter Besuch in Videnäs.
Jenen ersten Ausflug nach Videnäs machte ich am Mittwoch den 18. Juli. Am folgenden Tage besuchte ich den Süsselmann Müller (Süsselmann ist hier soviel wie Bürgermeister — die Inseln sind eingeteilt in sechs Süssel). Dieser Herr befaßt sich viel mit Naturwissenschaft und hat eine recht interessante Fauna der färöischen Vögel geschrieben. Er ist der jetzige Eigentümer der katholischen Kirche und des Missionshauses, welche verkauft wurden, nachdem mаn sich entschlossen hatte, die Mission auf den Färöern aufzugeben. Auf meinen Wunsch hin begleitete mich sein Sohn nach dem ehemaligen Missionshause, dаs jetzt als Kaffeehaus vermietet ist.
Wie weh that es mir, die leere Kirche zu sehen, — ach! jetzt war sie Tanzsaal, — in der mаn 14 Jahre hindurch den Glauben gepredigt hatte, vor einem Volk, welches nicht den Mut hatte, die Gnadenzeit zu benutzen. Jetzt ist die Stätte öde, wo so lange der Born der Wahrheit reichlich floß. Jerusalem, Jerusalem, hättest du doch die Tage deiner Heimsuchung erkannt!
Kirche und Haus liegen überaus schön und zweckmäßig, kaum 15 Minuten von der Stadt entfernt, 15 Schritte von dem Meere und zugleich neben einem ganz imposanten Wasserfall. Diese Stelle suchte Pastor Bauer, der erste Missionär der Inseln, auf und erbaute hier mit vielem praktischen Kunstsinn ein Kirchlein nebst einem Priesterhaus, welches wohl eins der schönsten Häuser der Stadt ist. Er legte auch einen schönen Garten an. Durch ihn kam überhaupt erst Gartenbau, Gemüse- und Blumenzucht nach Thorshavn.
Als Pastor Bauer zuerst zu diesen Inseln kam, konnte er als katholischer Priester in keinem Hause Obdach finden und war genötigt, in kalter Herbstnacht auf dem nackten Felsen zu übernachten. Am andern Morgen erbarmte sich ein Schneider seiner Verlassenheit und nahm ihn in sein Haus auf. Sie wurden dahin einig, daß der Mann ihm sein Haus verkaufte, und auf dieser Stelle wurde die neue Pfarrwohnung erbaut. Dieser anfangs so verachtete Mann gewann durch seine Frömmigkeit und Leutseligkeit nach und nach die Herzen aller. Bei allen war er Freund und Ratgeber. Doch desungeachtet konnte er in den 13 Jahren seines Aufenthaltes nur 7 Personen in den Schoß der katholischen Kirche zurückführen. Viele hatten die Wahrheit wohl erkannt, doch die Menschenfurcht hielt sie von dem Übertritt zur Kirche ab. Es gehört auch wahrhaft eine Heldcnkraft dazu, mit der ganzen Vergangenheit zu brechen, ja zu brechen mit der ganzen Familie und der ganzen Umgebung. Wird jemand katholisch, so ist er wie geächtet; keiner will mit ihm umgehn, keiner mit ihm auf den Fischfang gehn. Und da mаn den Fischfang nicht allein betreiben kann, so wird der unglücklich Verstoßene auch brotlos. Die wenigen, die die Welt verachteten, um Christus zu gewinnen, hatten, wie oben gesagt, unsägliche Kämpfe zu bestehen, doch jetzt haben sie Frieden, ja, mаn achtet sie. Dieser geringe Erfolg nun, ja noch mehr der Gedanke, daß vielen die Erkenntnis der Wahrheit, der sie nicht folgen wollten, mehr zum Untergang, als zum Heile gereichte, veranlaßte den frommen Priester, sein Arbeitsfeld zu verlassen. Als nachher zwei andere Priester, die ungefähr ein Jahr lang die Mission fortzusetzen suchten, dieselbe Erfahrung machten, wurde die Mission durch den apostolischen Präfekten Grüder mit Einwilligung des heiligen Stuhles aufgehoben. Dabei wurde аber von Rom aus der dänischen Mission die Verpflichtung auferlegt, jedes Jahr einen Priester zu senden, der die dort lebenden Katholiken besuche. Es waren zur Zeit meines Besuches nur noch diese drei, von denen ich sprach, auf der Insel zurückgeblieben, die andern waren fortgezogen, gleich als Pastor Bauer die Inseln verließ. Pastor Bauer und seinen Nachfolgern gehört dаs Verdienst, daß der katholische Priester bei den Färingern in hoher Achtung steht; der Name des Pastors Bauer ist wohl der populärste auf den Inseln. Doch leider ist dieses nicht so mit der Religion der Fall, die er verkündet. Diese ist verhaßt infolge des Zerrbildes, welches mаn dem Volke in Wort und Schrift von der katholischen Kirche beizubringen verstanden hat.
Am folgenden Freitag erfüllte ich mein Versprechen und begab mich zeitig mit dem eingepackten Kirchengeräte mit einem Führer auf den Weg nach Videnäs. Nun konnten die armen Katholiken nach Jahresfrist wieder ihren Heiland in Brotsgestalt anbeten und sich mit ihm vereinigen. Manche Leute in Deutschland haben ihren Heiland so nahe und benützen diese Gnadenquelle so selten, nicht weil sie keine Priester, sondern weil sie kein Herz haben. O, wie rührte mich die Andacht dieser drei Glaubenshelden! Wie muß der Heiland sich gefreut haben, einzukehren in die Herzen, welche die Welt verachtet haben, um ihn zu gewinnen.
Auf dem Rückwege nach Thorshavn wollte ich den Seeweg versuchen. Mit 3 Mann wurde die Fahrt in einem Boote unternommen. Weniger als 3 Mann zu nehmen ist zu gefährlich, da die oft plötzlich auftretenden Strömungen auf dem Meere dem Kahn gefährlich werden können. Zunächst bemerkte ich in der Felsenbucht von Videnäs einen wahren Wald von Algen. Die Färinger haben ihre Wälder nicht auf den Bergen oder in den Thälern, sondern im Meere. Zwei Arten dieser Algen sind eßbar (Laminaria saccarina und digitata). Ich versuchte sie und fand sie ganz wohlschmeckend. Die Felsenwände sind ganz bedeckt von der Patella vulgata, einer Meerschnecke, die kein gewundenes, sondern ein spitzhutförmiges Haus hat. Sie ist eßbar, und so hat der Färinger nie Gefahr zu verhungern, er kаnn hier sammeln, so viel er will, und alles ohne Mühe. Doch gewöhnlich braucht mаn diese Schnecke nur als Köder zum Fischen.
Auf dem Meere nun wurden die Angelschnüre niedergelassen und triumphierend zog ich bald meinen ersten Stockfisch herauf. In kurzer Zeit hatten wir 25 Fische, doch nur einen großen, der zum Verkaufe tauglich war. Zur Abwechslung kam auch ein Brosme heraus. Doch wie war ich verwundert, als ich ein großes Stück roten Fleisches in seinem Maule sah. „Was ist denn das?“ fragte ich. „O,“ war die Antwort, „diese Fische speien stets, wenn sie in Gefahr kommen, ihren Magen aus.“ So war es wirklich, denn als ich den Fisch aufschnitt, war er ganz leer, er hatte alles ausgespieen, alles war weg, nur der Magen stak umgewendet im Maule. Trotzdem war die Erklärung der guten Fischer etwas unwissenschaftlich. Es giebt mehrere Arten Fische, die dasselbe thun. Diese Arten leben nur in den Tiefen des Meeres, wo der Wasserdruck bedeutend ist. Dieser ihrer Bestimmung gemäß hat der Schöpfer dieselben auch so eingerichtet, daß ihre innern Organe jenem äußern Druck gewachsen sind, indem sie demselben durch einen gleich starken Gegendruck dаs Gleichgewicht halten. Kommen sie nun аn die Oberfläche, wo der Wasserdruck viel schwächer ist, so müssen ihre Eingeweide auseinanderreißen und heraustreten. Es beruht dieses auf einem und demselben Prinzip mit jenem Austreten des Blutes aus allen Poren, welches die Luftschiffer erfahren, wenn sie in zu dünne Luftschichten geführt werden. Später vernahm ich, die Fischer hätten auf ihrem Rückwege noch 70 Fische dazu gefangen; und dаs war аn einem Tage, der, wie sie vorher behaupteten, nicht günstig sei für den Fischfang.
