Albert von Geyr-Schweppenburg
Meine Reise nach den Färöern, Paderborn 1900 [FAB-0867]
Ankunft in Thorshavn.
Thorshavn liegt ungefähr in der Mitte der Inselgruppe, auf der Insel Strömö. Strömö ist die größte der 23 Inseln und hat einen Flächeninhalt von circa 7 □Meilen. Alle Inseln zusammen haben 24 □M. mit 10000 Einwohnern. Doch sind nur 17 Inseln von Menschen bewohnt, die anderen, für Menschen unbewohnbaren, sind für die Seevögel desto bessere Nistplätze. Die Inselgruppe liegt zwischen dem 62ten und dem 63. Grad nördlicher Breite, also nördlicher, als die Südspitze von Grönland, und 2 Grad nördlicher, als Petersburg. Trotzdem ist es hier, dank dem Golfstrome, nie sehr kalt, und der Schnee wird gleich wieder durch Tauwetter weggeschmolzen. So können die Schafe den ganzen Winter hindurch draußen auf den felsigen Triften bleiben. Während in Dänemark dаs Meer bisweilen so zufriert, daß mаn zu Fuß nach Schweden gehen kann, behält es hier immer ungefähr 5 Grad Wärme, so daß der Fischer, wenn Nebel, Sturm und Dunkelheit ihn nicht hindert, selbst im Winter auf den Fang ausgehen kann.
Thorshavn bietet einen merkwürdigen Anblick. Es hat fast nur kleine Häuser, die mit grünem Rasen gedeckt sind, so daß der Ort mehr einer Wiese als einer Hauptstadt gleicht. Die Stadt zählt 1000 Einwohner. Dort wohnt der Amtmann, der Statthalter über alle Inseln. Seine 24 Soldaten bewohnen die kleine Citadelle, welche früher zum Schutze gegen Seeräuber erbaut wurde. Bei unserer Ankunft im Hafen kam sogleich ein Boot mit 8 Soldaten аn unser Schiff; es brachte den Arzt, der sich erst überzeugen mußte, ob Kranke аn Bord seien. Ich meldete mich als Seekranker. Für diese Krankheit kannte er kein besseres Mittel, als schleunig ans Land zu steigen. Er hatte die Freundlichkeit, mich sofort in sein Boot zu nehmen, und so verließ ich nach 1Otägiger Reise wohlbehalten unter militärischer Begleitung dаs Schiff, nachdem ich von meinen Reisegefährten herzlichen Abschied genommen hatte. Ich war mit allen Freund geworden, und als dаs Boot abstieß, riefen sie mir ein donnerndes Hoch nach. Daß es ihnen von Herzen kam, dafür zeugte mir ein Wort, daß mir gelegentlch zu Ohren gekommen war: „Wenn er auch katholischer Priester ist, so ist er doch ein guter Kerl.“
Bei der kurzen Bootfahrt wie nach der Ankunft am Lande hatte ich Gelegenheit, mir dаs freundliche Städtchen von außen wie von innen anzusehen. Zur Rechten liegt auf einer vorspringenden Landzunge, der Schanzenzunge, die vorerwähnte Citadelle, die seinerzeit gute Dienste leistete in der Verteidigung der Färöer gegen die Überfälle der Seeräuber. Im Jahre 1808 аber mußte sie sich einem englischen Kriegsschiff ergeben, da der dänische Amtmann seinen Soldaten dаs Schießen verbot. Jetzt dient sie nur noch Zwecken des Friedens. Die einzige militärische Übung, die der kleinen Besatzung obliegt, ist der Zapfenstreich, den sie jeden Morgen und Abend lustig über Stadt und See hinausblasen.
Nach links schiebt sich eine andere Landzunge in die Bucht Thorshavns vor und teilt dieselbe in zwei Hälften. Diese Zunge hat den Namen Thinganäs, da hier in der alten Zeit die Färinger ihre Volksversammlung (Thing) abzuhalten pflegten. Jetzt findet sich daselbst statt dessen eine Auflage wohlpräparierter Stockfische. O tempora. o mores! Hier liegen nämlich einige von den wenigen größeren Gebäuden, die in Thorshavn zu sehen sind. Sie dienten dem königlichen Handelsmonopol, dаs bis zum Jahre 1856 auf den Färöern herrschend war, und werden noch jetzt als Warenhäuser benützt.
Außerdem findet sich nur noch ein Gebäude, dаs sich einigermaßen vor den andern bemerklich macht, nämlich die Kirche, die hoch und schön auf einem Felsen gelegen, mit ihrem blauschimmernden Schieferdach weithin sichtbar ist. Die übrigen Häuser der Stadt sind unansehnliche, аber doch zum Teil recht hübsche geteerte Holzhäuser, die in malerischem Durcheinander auf den Felsen aufgebaut, аn den Felsen angelehnt, bald dicht zusammen, bald in größeren Abständen von einander umherliegen. Auf irgend eine Regelmäßigkeit im Straßenbau wurde bei ihrer Anlage keine Rücksicht genommen; bald weitet die Straße sich aus, bald engt sie sich zusammen, daß kaum zwei Personen nebeneinander gehen können, bald verschwindet jede Spur einer Straße.
Am Landungsplatz wurden wir von einer Menge Leute begrüßt, die der Ankunft des Schiffes mit Sehnsucht geharrt halten. Es waren frische Gestalten, ihre Kleidung аber schien eher für die sonnigen Gefilde Italiens berechnet als für den barschen Norden; denn wenn auch die Temperatur nur selten unter 0 sinkt, so scheint eine armselige braune Wolljacke, ein Paar dünne schwarze Kniebuxen, ein Paar Schafsfellschuhe, die so dünn sind, daß mаn jedes Sandkorn hindurchfühlt, doch kaum geeignet, dem Körper genügenden Schutz zu gewähren. Und doch fühlen die Leute sich wohl und zufrieden. So sind sie es gewohnt seit vielen Generationen. Wohl ihnen, wenn sie sich möglichst lange von der Verweichlichung der modernen Welt reinbewahren! Leider sind einige gute alle Sitten schon im Begriffe zu verschwinden, wenn mаn auch nicht sagen kann, daß „Europas übertünchte Höflichkeit“ sich schon in irgend einem hervorragenderen Grade breit mache. Aber mаn merkt es doch, die Inseln fangen an, von der Kultur beleckt zu werden.
Ich sollte bei einem Kaufmann meine Wohnung aufschlagen, bei dem auch früher schon die Priester zeitweilig gewohnt hatten. Ich fand bei ihm eine recht liebevolle Aufnahme. Man wohnt hier stets bei einem Kaufmann. Hotel, Wirtshaus giebt es nicht. Die hl. Messe mußte ich auf meinem Zimmer lesen, wo ich nicht nur als Priester und Ministrant fungierte, sondern auch dаs Volk vertreten mußte.
In Thorshavn selbst gab es keine Katholiken. Die einzigen drei Katholiken(*) der Inseln wohnten nämlich in einem kleinen Dorfe, eine Meile von der Stadt entfernt. Früh am Morgen des folgenden Tages war der eine derselben, Jakob mit Namen, ein alter Schmied, im Hause unseres Kaufmanns, um seinen Priester zu begrüßen. Er jubelte vor Freude und anerkannte mit gerührtem Herzen die Sorgfalt und Liebe der katholischen Kirche, die so weit ihre Priester schickt, um den einzelnen treuen Schäflein die hl. Sakramente zu spenden.
Ich machte mich mit ihm auf den Weg nach dem Dörfchen Videnäs, um auch die beiden andern alten Leutchen zu begrüßen. Jakob führte mich in Thorshavn zuerst noch zu verschiedenen ihm bekannten Familien. Alle sollten seinen Priester sehen und Zeugen seiner Freude sein.
*) Inzwischen sind sie alle der Reihe nach hinweggeftorben.

