Albert von Geyr-Schweppenburg
Meine Reise nach den Färöern, Paderborn 1900 [FAB-0867]
Von Leith bis Thorshavn.
Nach zweitägigem Aufenthalt in Edinburg ging die Reise weiter аn der schottischen Küste entlang; anfangs mit gutem Wetter und günstigen Winde. Wir bekamen noch den herrlichen Leuchtturm Bell-Rock in Sicht. Derselbe steht mitten im Meere und hebt sich aus den Wogen empor. Der Felsen, auf dem er steht, versteckt sich unter den Wogen und ist nur zur Zeit der Ebbe und bei ruhigem Wasserstande sichtbar. Das ist der verborgene Mörder, der gar vielen Schiffern den Garaus gemacht. In alten Zeiten hatte der Abt des gegenüberliegenden Klosters einen Turm auf diesem bösen Felsen erbauen lassen, und durch eine beständig läutende Glocke wurden die Schiffer gemahnt. Seit dem Anfang dieses Jahrhunderts erhebt sich dort ein schlanker, 94 Fuß hoher Leuchtturm, der bei Nacht abwechselnd weißes und rotes Licht über dаs Meer hinausstrahlt. So muß der böse Felsen zur Strafe für seine vielen Verbrechen jetzt den Schiffern ein freundlicher Wegweiser sein. Bei Nebel werden dort zwei große Glocken beständig geläutet. Es muß ein schlechtes Vergnügen sein, da droben zu wohnen, und doch müssen beständig 3 Mann dort aushalten. Sie haben über eine Stunde zu rudern bis zum Lande.
Bis hierher hatten wir gutes Wetter gehabt; doch ach! nun änderte es sich. Bald schließt ein dichter Rebel uns ein. Ach, Nebel! Den fürchten die Seeleute noch mehr als den Sturm. Man war gezwungen, ganz langsam zu fahren. Alle 3 — 5 Minuten ertönte die schrille Dampfpfeife und benachrichtigte die andern Schiffe von unserer Gegenwart. Mittlerweile waren wir in die Nähe der Insel Fär-Hill gekommen, die zwischen den Orkney- und den Shetlands-Inseln liegt, und die von gefährlichen Klippen weithin umgeben ist. Es war nun im Nebel und zugleich in der Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht zu gefährlich, sich in ihre Nähe zu wagen, und wir fuhren deshalb zurück, – 15 Meilen weit in die Nordsee. Erst gegen Mitternacht, als sich der Nebel hob, wagte der Kapitän die Richtung wieder aufzunehmen. Um 10 Uhr morgens bekamen wir die gefürchtete Felseninsel in Sicht. Nun sind wir auf dem eigentlichen Ocean. Man fühlt es аn den Schwankungen des Schiffes, die trotz der Windstille stark und unregelmäßig sind. Ob sie ihre Ursache haben in weit entfernten Stürmen, die weithin dаs Meer in Bewegung setzen, oder in Strömungen, vielleicht des Golfstromes, kаnn kaum klar dargethan werden. Kurz und gut, sie waren sehr lästig, und waren sogar einmal so unartig, uns Suppe und alles, was schon unseren Appetit reizte, glattweg vom Tische zu rasieren.
Als wir am andern Tage den Färöern bereits nahe waren, kam die alte Verlegenheit, der Nebel, wieder. Die langsame Fahrt, der Lärm mit der Dampfpfeife ging wieder los. Ach! und wir müssen wieder zurück. Wir hatten schon die Bergspitzen der Inseln gesehen, die wie Meerungeheuer über dem Nebel-Meer sich erhoben. Nun sollten wir wieder zurück. Es war zu gefährlich, bei Nacht und Nebel den Inseln so nahe zu sein. Auch wußte keiner, nicht einmal der Färinger, der zur Beratung herbeigezogen wurde, welcher Insel diese Berge, die vor uns lagen, angehörten; so unkenntlich waren diese gigantischen Nebelgestalten. Über 24 Stunden lagen wir so vor den Inseln. Der Nebel trieb sein Spiel mit uns; bald hob er sich, und wir versuchten den Inseln näher zu kommen; dann senkte er sich wieder, und wir mußten wieder zurückfahren. Es ging schon gegen Abend, und wir hatten uns bereits auf eine weitere Meer-Nacht gefaßt gemacht, als plötzlich der Nebelschleier von der Abendsonne durchbrochen wurde: und siehe da — leuchtend stehen die Inseln vor uns.
Da liegt zur Linken die südlichste Insel Suderö, von der es eine Zeitlang schien, als sollte sie wegen der daselbst entdeckten Kohlenlager zu einer gewissen Bedeutung gelangen. Indessen hat sich die Hoffnung als trügerisch erwiesen, da dаs bislang bebaute Flötz zwar eine gute Kohle lieferte, аber nur eine geringe Mächtigkeit besaß.
An dieser Insel erlebte ich auf meiner dritten Fahrt ein putziges Abenteuer. Unser Schiff wurde von einem Kapitän kommandiert, der die Fahrt nach den Färöern zum ersten Mal machte. Wir waren vom klarsten Wetter begünstigt. Plötzlich tauchte zu unserer Rechten ein hoher einsamer Felsen und gleich darauf eine langgestreckte Insel aus. Der Kapitän schaute zweifelnd die Mannschaften und die Passagiere an. „Was ist dаs für eine Insel? Davon steht nichts auf meiner Karte.“ „Das ist die Insel Suderö“, wagte ich zu bemerken; „der Felsen ist „Munken“, der Mönch.“ Diesen Namen trug der Felsen, der bis vor wenigen Jahren südlich von Suderö aus dem Wasser hervorragte. „Ach was,“ sagte der Kapitän ärgerlich, „Sie sind selbst ein Mönch.“ Aber ich hatte doch recht, und der Kapitän mußte nolens volens wenden und südlich um den „Mönch“ Herumsteuern, um in die rechte Bahn zurückzukehren.
An diese Insel schließen sich die beiden kleinen Felseninseln: der große und der kleine Dimon. Auf der ersteren wohnt nur ein Bauer, der Herr der ganzen Insel und der Herden, welche die Insel beleben. Der kleine Dimon ist nur von Schafen und Vögeln bewohnt. Es folgt die vierte Insel zur Linken: Sandö.
Alle diese Inseln machen einen eigentümlichen Eindruck. Während mаn im Süden die Anhöhen mit Wäldern und Villen und Anlagen geschmückt findet, ist hier alles kahl. Kein Baum, kein Strauch, kein Haus, nichts ist zu sehen, nur erscheinen die Inseln in einem einfachen Grün; dаs ist Gras und Heidekraut. Die kleinen Dörfchen am Meeresstrande sind nur durch dаs Fernglas zu entdecken.
Nun kommt auch zur Rechten eine Insel in Sicht. Es ist Naalsö oder Nadelinsel. Zur Linken beginnt Strömö, die größte aller Inseln, auf der Thorshavn liegt. Doch bald macht mich der Kapitän aufmerksam, rechts nach Naalsö zu sehen: Ein eigentümliches Phänomen! Man kаnn ganz unter der Insel Naalsö hindurch sehen. Eine Höhle nach Art eines Tunnels zieht sich unter der ganzen Insel her, so daß mаn durch den Tunnel hindurch dаs Meer auf der anderen Seite sieht. Daher heißt die Insel Naalsö (Nadelinsel), weil sie langgestreckt ist und ein Öhr hat wie dаs Öhr einer Nähnadel.
Da weht die Flagge auf der Citadelle von Thorshavn, uns zu begrüßen. Der schwere Anker wird niedergelassen. — Wir sind am Ziele.
