Albert von Geyr-Schweppenburg
Meine Reise nach den Färöern, Paderborn 1900 [FAB-0867]
Von Kopenhagen bis Leith.
Es war am 8. Juli 1877 in der Frühe, als ich im Hafen von Kopenhagen mit frohem, aber, wie es bei einer längeren Seereise zum ersten Mal geht, etwas beklommenem Herzen dаs Schiff „Valdemar“ bestieg. Das Ziel der Reise waren die Färöer, woselbst ich die wenigen dort wohnenden Katholiken besuchen sollte, um ihnen die Tröstungen der Religion zu spenden.(*)
Der Kapitän war pünktlich. Schlag 9 Uhr setzte sich dаs Schiff in Bewegung. Ich machte bald mit den wenigen Passagieren Bekanntschaft. Bei einer derartigen Tour sind ja die Reisenden mehr aufeinander angewiesen, als sonst auf Reisen, wo jede halbe Stunde die Gesellschaft wechselt. Auch mit dem Kapitän, den beiden Steuermännern, ja mit allen Matrosen wurde ich bald bekannt und befreundet. Die Besatzung des Schiffes bestand aus 24 Mann.
Die Fahrt durch den Sund mit seinen anmutigen Gestaden, den Städten und Flecken, den Dächern in glänzender Morgenbeleuchtung war herrlich. Große und kleine Schiffe durchschnitten bald in schneller, bald in langsamer Fahrt, bald von der Kraft des Dampfes, bald vom Winde getrieben, die freundlich spielenden Wellen. Bei Helsingör geht’s mit vollem Dampf hinaus in dаs Kattegat: die Türme der herrlichen, ehrwürdigen Veste Kronborg winken uns lange wie zum Scheidegruße nach.
Das Kattegat ist ein böses Ding. In meinem Tagebuche lese ich: „Im Kattegat: — Die Wellen nehmen zu, doch ich halte mich standhaft.“ Dann аber kommt ein großer Gedankenstrich. Ja, ja, der sagt viel, der sagt Seekrankheit und alles, was drum und dran hängt. Zu welcher Prosa ist die poetische Fahrt allbereits geworden!
Nach 20 Stunden legte sich der Wind und mit ihm auch die Krankheit. Ich war wie neugeboren. Ich glaubte schon einen Seesturm durchgemacht zu haben. „Wasm Seesturm!“ sagte lachend der Kapitän, „das war nur eine Brise. Einen Seesturm müssen Sie noch mitmachen, sonst haben Sie nichts erfahren.“
Auf meiner zweiten Fahrt habe ich mich wieder mit dem Kattegat ausgesöhnt. Es war ruhig und friedlich und zeigte uns auch seine beiden Schoßkinder, die Inseln Anholt und Lässö. Wir überholten bei der Insel Anholt die dänische Nordpol-Expedition, dаs Schiff „Dymphna“, geführt von Kapitän Hovgaard, dem einstigen Gefährten Nordenskjölds, dаs Tags zuvor Kopenhagen verlassen batte. Bekanntlich scheiterte die Expedition daran, daß sie sich der Rettung zweier holländischer Schiffe widmen mußte. Es war mir ein eigenes Vergnügen, meine letzte Färöerfahrt unter demselben Kapitän Hovgaard zu machen und in ihm einen äußerst liebenswürdigen und jovialem Mann kennen zu lernen.
Inzwischen hatten wir Skagen, die nördlichste Spitze von Jütland, passiert und befanden uns in der Nordsee. Zwei Tage lang sahen wir nichts als Himmel und Wasser. Auf unserer einsamen Fahrt hatten wir nur den kurzen Besuch von drei Delphinen, die im Vorübergebcn einmal nachsehen wollten, ob für sie etwas abfiele.
Am Vormittag des vierten Tages zeigte sich die schottische Küste. Ern herrlicher Anblick! Im Vordergrund imposante Felseninseln, die bald mit Leuchttürmen, bald mit ehrwürdigen Burgruinen, bald mit Festungswerken geziert sind. Eine der Felseninseln trägt keinen Sckhuck von Menschenhand erbaut, auf ihr herrscht nur dаs Scepter der wilden Natur. Sie bildet einen großen Gegensatz zu den andern Inseln, und doch nimmt sie es аn Schönheit mit ihnen auf. Es ist die interessante Insel Baß. Als wir in ihre Nähe kamen, sahen wir, daß diese menschenleere Insel doch nicht unbewohnt war. Ja, Tausende von großen weißen Vögeln umschwebten sie. Es war der erste Vogelberg, den ich auf meiner Reise traf. Solcher Vogelberge werden wir später noch manche sehen. Hier ist Nest аn Nest, аn den Felsen hinauf, wie auf vielen Etagen. Es ist ausschließlich die Bassangans, welche hier wohnt. Den Namen Bassan hat sie eben von dieser Felseninseh, wo sie gleichsam ihre Hauptstadt hat, erhalten. Der Name „Gans“ ist sehr unwissenschaftlich; denn sie hat von der Gans nur die Größe. Wissenschaftlich heißt sie Sulla alba und gehört zum Pelikangeschlecht. Es ist herrlich, dem Vogel zuzusehen, wie er hoch aus der Luft plötzlich wie ein Pfeil herunterschießt tief unter dаs Wasser. Nach ewiger Zeit hebt er sich flieend aus dem Wasser empor, die Beule in dem langen Schnabel siegreich mit sich führend. Diesen so gewandten Vogel nennt mаn auch Tölpel, und so ganz unrecht hat mаn dabei nicht. Schießt mаn nämlich fehl auf ihn, so läßt er sich gar nicht stören, sondern wartet ruhig einen bessern Schuß ab. Ebenso tölpelhaft benimmt er sich, wenn mаn ihm die Eier wegnimmt. Er läßt sich dadurch gar nicht stören, brütet ruhig auf dem leeren Neste weiter, bis die Zeit kommt, wo die Eier aufbrechen sollten; dann holt er Futter und wirft es den eingebildeten Jungen vor und zeigt mit Würgen den Kindern, die nicht da sind, wie sie schlucken sollen.
Am Nachmittag warfen wir vor dem Hafen von Leith Anker. Dort mußten wir die Zeit der Flut abwarten, um in den Hafen einlaufen zu können. Hier аn der schottländischen Küste ist der Unterschied zwischen Ebbe und Flut sehr groß, 18 Fuß und darüber. Erst in der Nacht liefen wir ein. Nun setzte ich früh morgens meinen Fuß zum ersten Mal auf Schottlands Boden. Das ist dаs so vielfach besungene Schottland, dаs Land mit seinen alten Helden und Heiligen. Ich suchte den Weg nach Edinburg und zu dem Hause der Jesuiten. Es ist dort ein kleines Haus mit nur 3 oder 4 Patres. Dieselben haben eine große, recht schöne Kirche, in der sie zugleich den Pfarrgottesdienst versehen. Dort hatte ich dаs Glück, nach dem ich sehnlichst verlangte, wiederum die hl. Messe lesen zu können. Nachher begleitete mich Pater Charnley, den ich schon vor vielen Jahren in Deutschland kennen gelernt hatte, durch die Stadt, um mir alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Aber welch eine Stadt! Ich war ganz überrascht von der Großartigkeit derselben. Das Denkmal von Walter Scott ist ein großer gotischer Turm, wie der Turm eines Domes. Nelsons Statue steht auf einer Säule, die hoch über alle Gebäude emporragt. Allenthalben sieht mаn große, schöne Monumente berühmter Männer. Ja, der Brite, mаn sieht es, ist stolz auf seine Nation und auf seine Helden. Die Stadt umschließt drei beträchtliche Hügel. In den Thälern liegen die Straßen der Armut und des Elendes — ein furchtbarer Gegensatz zu den vielen Palästen und reichen Monumenten. Nirgends noch traf ich eine solche Armut, nirgends sah ich so schmutzige, so unanständige Kinder auf den Straßen herumliegen. Ich sah dаs königliche Schloß (holyrood palace) und die Zimmer, die von Maria Stuart bewohnt waren. In diesen befinden sich noch dieselben Möbel, die der unglücklichen Königin zum Gebrauche dienten. Auf einem der Hügel liegt die Citadelle, dаs uralte frühere königliche Schloß. Hier sah ich die Reichsinsignien der schottischen Könige und eine kleine, alte Kapelle der heiligen schottischen Königin Margaret. Doch sie dient nur noch als Monument, nicht mehr als Gotteshaus. Kein Altar ist mehr zu sehen; nur ein altes Weib sitzt darin mit ihrem Bilderkram, um den Reisenden einige Photographien von Edinburgs Herrlichkeiten feil zu bieten. Die Citadelle wird von dem Regiment der Hochschotten bewacht. Wahrhaft merkwürdige Soldaten! Das sind gewaltige, schöngewachsene Leute mit Bärenmützen. Lange Troddeln sieht mаn zur Seite herunterhängen. Den Gürtel schmücken vorn 5 verschiedenfarbige Roßschweife. Die Hosen sind kurz, die Kniee nackt. Dazu haben sie ganz leichte Schuhe, so daß mаn ihr Auftreten kaum hören kann. Ihre Regimentsmusik ist ein Dudelsack. Es ist ein köstlicher Anblick, sie so mit dieser ihrer Musik аn der Spitze durch die Straßen ziehen zu sehen. Die Hochschotten sind ganz verschieden von dem anderen Teil der schottischen Bevölkerung. Es sind die Abkömmlinge der alten Celten. Sie haben ihre eigene, vom Englischen ganz verschiedene Sprache, haben ihre alten celtischen Sitten und zeichnen sich aus durch ihren hohen kräftigen Wuchs und blondes Haar.
Edinburg hat über 160 Kirchen, die zum größten Teil neu sind und sich in ihrem schönen romanischen oder gotischen Stile wirklich gut präsentieren. Diese große Zahl von Kirchen rührt von all den vielen Sekten her, die sich hier gegenseitig zu überbieten suchen. Die alten Kirchen wurden alle in der Reformationszeit zerstört, mit Ausnahme der Domkirche, die jetzt leider von drei verschiedenen Sekten benutzt wird. Sie wurde gerade in diesem Jahre renoviert. Aus diesem Grunde hielt mаn ganz ungeniert den Gottesdienst auf der Straße ab; — sich genieren aus Menschenfurcht kennt der Schotte überhaupt nicht.
Unter den vielen palastähnlichen Gebäuden fiel mir eines ganz besonders auf, welches, von großartigen Anlagen umgeben, ein ganz königliches Aussehen hatte. Auf mein Befragen erhielt ich die unerwartete Antwort: dаs ist eine Elementarschule. Solche kolossale Stiftungen finden sich hier in Schottland. Die alten katholischen Stiftungen wurden hier erhalten, wohingegen sie anderswo in den Staatssäckel flössen. Der Fonds für diese eine Schule war so groß, daß davon noch 60 andere Schulen auf dem Lande gegründet werden konnten. Die Kinder dieser Schule haben nicht nur freien Schulbesuch, sondern auch freie Bücher und freie Kleidung, und erhalten später noch eine bedeutende Mitgift.
Die Stadt hat 200 000 Einwohner, darunter sind 22 000 Katholiken. Bald hätte ich meinen Besuch in den Gerichtssälen vergessen, wo ich doch einen höchst überraschenden Eindruck erhielt. Ich sah dort die Herren zum Gericht versammelt. Ernst und würdevoll saßen sie da — in weißen Puderperücken und mit langen Zöpfen! So ist es Sitte in Schottland.
*) Alljährlich mußte bis vor kurzer Zeit diese Fahrt von einem Priester der dänischen Mission unternommen werden, da mаn die einzige noch lebende Katholikin nicht hatte bewegen können, nach Kopenhagen überzusiedeln. Ich selbst habe inzwischen noch sechsmal die Tour gemacht. In den nachfolgenden Blättern biete ich dem freundlichen Leser die Erlebnisse und Eindrücke der ersten Reise, indem ich jedoch aus den späteren hie und da eine Reihe ergänzender Züge einflechte. Außerdem habe ich meine Notizen аn manchen Stellen ergänzt aus P. A. Hosm’s Skildringer og Sagn fra Färöerne.