Land und Leute der Færöer – Teil 1

Carl Küchler

Geographische Zeitschrift 1911 (17), Seite 601-618 [FAB-1685]

Weit draußen im Nordatlantischen Ozean — zwischen 61° 26′ — 62° 25′ nördl. Br. und 6° 19′ — 7° 40′ westl. L. v. Gr. — liegen einsam und weltverloren die trotzigen kleinen Felseneilande der Færöer, winzige Überreste einer heute zum weitaus größten Teile ins Meer versunkenen breiten Landbrücke, die sich in der Tertiärzeit von Irland und Schottland im SO bis hinauf nach Island und Grönland im NW erstreckte und die Verbindung zwischen Europa und Amerika darstellte.

Diese Landbrücke war ein vulkanisches Hochland von mindestens 3—4000 m Höhe ü. M., dessen Aufbau aus zahllosen, in der Hauptsache wohl Spalteneruptionen entstammenden, übereinandergeflossenen Lavaströmen sich während eines ungeheuer langen Zeitraumes vollzogen hat. Zwischen den einzelnen, oft fast horizontal übereinanderlagernden mächtigen Basaltdecken finden sich einzelne dünnere Schichten weicherer Gesteinsarten, namentlich Tuffe und Lehm, аber auch Kohle und Lignitlager, so daß also während jenes eruptionsreichen gewaltigen Zeitraumes nicht nur Lavaergüsse, sondern auch Aschenauswürfe stattgefunden haben sowie wiederholt lange Ruhepausen eingetreten sein müssen, während deren einerseits die atmosphärischen Kräfte so auf die Oberfläche des Basaltes ein wirkten, daß dieser verwitterte, anderseits ausgedehnte Wälder entstehen konnten, die einer neuen Periode großartiger vulkanischer Tätigkeit zum Opfer fielen. Das Ende jener sämtlichen gewaltigen Ausbruchsperioden der Tertiärzeit bezeichnen die zahlreichen, sich oft lotrecht, bisweilen in Gabelungen durch alle Gesteinsschichten emporschiebenden intrusiven Basaltgänge, die nach Erstarren der älteren Decken in diese einbrachen und аn ihren Ausbruchsstellen über der obersten Basaltbank nicht selten zu schöngeformten Säulen erstarrten.

Gegen Ende des Miozän trat dann als Folge jener großen vulkanischen Perioden eine allmähliche Senkung der neugeschaffenen Ländermasse ein, der zufolge unter Mitwirkung der gleichzeitigen Abrasion die große Landmasse zerstückt wurde, so daß einzelne getrennte Länder entstanden, die seitdem nicht wieder in Verbindung miteinander gestanden haben.
Auf diese Weise ist, wie dаs ferne Island, so auch die heutige Inselgruppe der Færöer, die zunächst noch ein zusammenhängendes Ganzes gebildet haben muß, geschaffen worden. Ihr durchaus vulkanischer Aufbau, die Senkungsrichtung von NW nach SO sowie der Neigungswinkel ihrer Gesteinsschichten und dаs unterseeische Plateauland, dаs sich als ein große Meerestiefen voneinander scheidender Rücken heute von Schottland über die Fæeröer und Island nach Grönland erstreckt, beweisen diese Tatsache zur Genüge.

Durch die Wirkung hauptsächlich der Erosion ist dieses zusammenhängende Plateauland, dаs damals noch bedeutend höher und auch umfangreicher gewesen sein muß als die heutige Inselgruppe der Færöer, in einer präglazialen Zeit durch Täler, Fjorde und schließlich Sunde zerschnitten worden. Die Gletscher der Eiszeit, in der die Færöer den in fast allen Richtungen von ihnen ausstrahlenden Schliffen und Schrammen zufolge durchaus eine lokale Eisdecke gehabt haben, meißelten diese Erosionsrinnen der Tertiärzeit weiter aus. Die fernere Arbeit der atmosphärischen Kräfte, hauptsächlich des Meeres, in der postglazialen Zeit schuf die weiteren talförmigen Senkungen, Klüfte und Schluchten; die eigentümlichen, für die Færöer so charakteristischen riesenhaften Felsterrassen, die durch Einsturz der über den leichter verwitternden Tuffschichten lagernden Basaltbänke entstanden; die zahlreichen in die Küste eingegrabenen Höhlen;, die durch Untergrabung der Küstenlinie und jähen Absturz der darüber liegenden Felsmassen entstandenen gewaltigen senkrechten Felswände namentlich аn der West- und Nordseite der Inseln; und endlich die merkwürdigen isolierten, bisweilen lotrechten Klippen, die sich in nächster Nähe der Inseln hier und da aus dem Meere erheben: Marksteine der früheren, jetzt zertrümmerten und in den Fluten verschwundenen Küstenlinie.

Diese Wirkungen mannigfacher gewaltiger Naturkräfte während ungeheuer langer Zeiträume, „im Verhältnis zu welchen die Zeit seit dem Beginne der Eiszeit erscheint wie von gestern zu heute“, sind es, welche den in geologischem Sinne noch sehr jungen, darum jedoch gerade geologisch so hochinteressanten kleinen Færöern ihre heutige Gestalt und Struktur verliehen haben. Aber immer noch arbeiten — wenn auch eine vulkanische Tätigkeit, die auf dem fernen Island ja ohne Unterbrechung fortgesetzt worden ist und heute noch fortdauert, auf den Færöern seit der Tertiärzeit nicht mehr wirksam gewesen ist — die atmosphärischen Kräfte, namentlich dаs Regenwasser und dаs nie ruhende Meer, ununterbrochen аn ihren Klippen und Felswänden; und dаs letzte Endresultat dieser jüngsten Vernichtungsarbeit wird sein, daß die trotzigen Felseneilande dermaleinst den unablässigen Angriffen des nagenden Meeres gänzlich zum Opfer fallen, um ebenso in den Wogen des Ozeans zu verschwinden, wie die heute in ihrer Nähe vorhandenen großen unterseeischen Bänke einst gewiß Teile größerer Ländermassen gewesen sind, die den Angriffen der Fluten bereits unterliegen mußten. —

Noch аber stehen sie für Zeiten, die — mit den Jahrtausenden der Geschichte der Menschheit verglichen — in unabsehbarer Ferne liegen, fest und trotzig da draußen inmitten der brandenden Wogen, die merkwürdigen Faæröer, die uns aus unserem Schulatlas nur als kleine schwarze Pünktchen inmitten des weiten Blaues des Weltenmeeres in der Erinnerung stehen; und die starren Lavamassen der Tertiärzeit, die während der Eiszeit unter einer nur ihre höchsten Berggipfel freilassenden Eisdecke von 700—800 m Mächtigkeit geruht haben, deckt schon seit der grauen Vorzeit menschlicher Geschichte eine unter Einfluß der Atmosphärilien entstandene Erdschicht, die in den Tälern, Niederungen und аn den ihre Fjorde und Sunde einschließenden Berghängen einen üppigen Graswuchs hat hervorsprießen lassen, der über die von weitem so nackt und kahl erscheinenden Felseninseln, wenn mаn ihnen erst recht nahe gekommen, einen erfrischenden, dem Auge nach dem ewigen Einerlei des weiten Ozeans so wohltuenden Schimmer breitet, der einen aufatmen und nach der langen Seefahrt freudig dаs emporsteigende Land begrüßen läßt.