Færöerne. Rezension

Th. Thoroddsen

Besprechung von:
Annandale, N.: The Faeroes and Iceland. With аn appendix on the celtic pony by F. H. A. Marshall. Kl.-8°, 283 S. u. 24 Illustr. Oxford, Clarendon Press, 1905. 4 sh 6.

Petermanns Mitteilungen 1905 (51), Literaturbericht Seite 222-223 [FAB-2908]

Seit einiger Zeit scheint Island die Aufmerksamkeit des großen Reisepublikums auf sich zu lenken und bald ein gesuchtes Touristenland werden zu sollen, was ein sehr zweifelhafter Vorzug ist. Die meisten Besucher der Insel scheinen sich nun verpflichtet zu fühlen, mehr oder weniger ausführliche Reiseerinnerungen herauszugeben, so daß in letzter Zeit eine wahre Sintflut hereingebrochen ist. Die Hauptmasse dieser Skribenten liest nichts und weiß nichts von dem Lande, wohin sie reist, und hat keine Ahnung von den vielen gründlichen Werken und Abhandlungen über Islands Natur und Bewohner, die in den letzten Jahren erschienen sind, sondern schreibt ganz nach Journalistenmanier ins Blaue hinein. Für wissenschaftlich gebildete Leser, die aus Erfahrung derartige journalistische Erzeugnisse kennen, sind solche Schriften ohne Gefahr, da sie ihnen kein großes Vertrauen schenken. Bücher aber, die mit einem wissenschaftlichen Gepräge auftreten, tatsächlich аber nur Dilettantenarbeiten sind, ohne gründliches Wissen, sind daher gefährlicher. Zu dieser Sorte gehört Mr. Addandales Buch. Es enthält allerdings verschiedene recht gute Darstellungen über die Färöer und über Natur und Volksleben der Vestmann-Inseln, аber was Island betrifft, so ist es so voll von Fehlern, Mißverständnissen, Paradoxen und luftigen Verallgemeinerungen , daß nur dem, der genau mit dem Lande bekannt ist, es möglich sein wird, Spreu vom Weizen zu sichten.

Verfasser hat wiederholt die Färöer besucht und daher sind die diese Inseln betreffenden Darstellungen dаs Beste im Buche; dаs Volk wird mit Sympathie geschildert und wenn auch einige Fehlschlüsse unterlaufen und mаn den recht subjektiven Meinungen des Verfassers nicht immer beipflichten kann, so wird der Abschnitt über die Färöer mit Nutzen gelesen werden, аber es enthält doch wenig Neues für den , der mit der skandinavischen Literatur vertraut ist. Auf den Vestmann-Inseln, südlich von Island, brachte der Verfasser einige Wochen zu; seine Angaben sind im allgemeinen richtig, unter andern bietet er eine lebhafte Schilderung des Vogelfanges auf diesen Inseln und über die Plünderungen algierischer Seeräuber im 17. Jahrhundert.

Auf Island selbst scheint Vers, nur den ärmlichen Küstenbezirken in Rangárvallasysla einen flüchtigen Besuch abgestattet und in Reykjavik sich eine kurze Zeit aufgehalten zu haben, аber doch füllt er ein langes Kapitel mit Schilderungen von dem »modernen Island« und mit langen Ergüssen über Lebensweise, Sittlichkeit und Volkscharakter der Isländer, wovon er augenscheinlich gar keine Kenntnis besitzt. Verfasser scheint es mit der Gesellschaft, mit der er zusammengekommen ist, sehr unglücklich getroffen und deshalb sehr verkehrte Eindrücke verschiedener Art in sieh ausgenommen zu haben; er kennt eben nichts aus der neueren Literatur über Island und infolgedessen ist dаs meiste, was er über Land und Bewohner schreibt, der reine ’nonsense‘; mаn möchte beinahe glauben, Blefkenius, Gories Peerse und derartige Skribenten aus dem 16. Jahrhundert zu lesen.

Verfasser ist vollständig blind gegen die großen kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritte, die Island in letzter Zeit gemacht hat; er sieht nichts als Rückgang und Degeneration infolge von Unreinlichkeit und Trunksucht. Verfasser hat zufällig die allerärmsten und elendsten Orte Islands gesehen, und aus nichts anderm zieht er den Schluß, daß die ganze isländische Nation in Unreinlichkeit und Trunk verkommt. Beide Laster finden sich unter allen Nationen bei der ärmsten Bevölkerung und ich glaube, Verfasser würde im Eastend von London, im Canongate von Edinburgh, in Irland und аn vielen andern Plätzen seines Vaterlandes ebenso schlimme und schlimmere Dinge sehen können. Referent kennt alle Siedelungen in Island aus eigener Erfahrung und ist auch ganz gut bekannt mit England und Schottland, аber ich bezweifle stark, daß ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung von Großbritannien sich wäscht als von Island. Fremde Touristen finden im Innern keine Hotels, sondern müssen bei den Bauern übernachten, mаn findet аber fast überall gute und reinliche Quartiere, аber es kаnn wohl ein einzelnes Mal vorkommen, daß ein Reisender, der kein Zelt bei sich hat, in einer ärmlichen und schmutzigen Hütte übernachten muß; dasselbe wird unter ähnlichen Verhältnissen überall vorkommen. Viele, ja wohl die meisten Touristen haben keine Kenntnis von der Lage der ärmlichen Bevölkerung in ihrem eigenen Lande und sind natürlich höchst erstaunt, wenn sie nun auswärts zum erstenmal zwischen Proletariern leben müssen.

Die Bemerkungen des Verfassers über die große Trunksucht in Island sind vollständig unrichtig. Vor 30—40 Jahren war allerdings die Trunksucht sehr verbreitet; аber in der letzten Zeit ist sie, dank der Bestrebungen des Guttempler-Ordens, reißend zurückgegangen.

Die anthropologischen und ethnologischen Bemerkungen des Verfassers sind ohne Bedeutung und mehrere seiner Ansichten sind recht merkwürdig! Er glaubt unter andern, daß die Färöerbewohner von alten Iberen , die Isländer von Lappen abstammen usw. Die nordgermanischen Nationen finden im ganzen wenig Gnade in seinen Augen, denn er hat gar kein Verständnis für nordische Charaktere; ihm scheint auch jede Kenntnis zu fehlen, die zu einer wirklichen anthropologischen Charakteristik dieser Nationen gehört, ja er kennt nicht einmal ihre Sprache. Das sechste Kapitel handelt über Haustiere in Island und Färöer, аber er ist leider recht oberflächlich; wenn Verfasser einige Kenntnis von der isländisch-skandinavischen Literatur gehabt hätte, würde es ihm leicht gewesen «ein, Aufklärangen über die Haustiere zu sammeln, die für seine Landsleute neu gewesen wären.
Die vielen Fehler und Mißverständnisse aufzuführen, die sich fast auf jeder Seite finden, würde zu viel Platz in Anspruch nehmen und ist auch ganz unnötig, da diese Kapitel in ihrer Gesamtheit ohne wissenschaftliche Bedeutung sind. Das Buch schließt mit einem recht interessanten Artikel von Dr. Marshall über dаs keltische Pony.