Eine Ruine auf den Faröern

Gustav Georg Winkler

Ausland 1858 (31), Seite 679-681 [FAB-3388]

Island, Reykjavik am 10 Junius 1858.

Ein Reisender, welcher zur Zeit die Faröer-Inseln besucht, wird dort allwärts nichts anderes finden, worin ihm so zu sagen etwas besseres Menschliches sich offenbarte als das, was der Mensch dort gethan hat um eine Existenz, auf Berg und Meer gegründet, gegen die Feindseligkeit anderer Naturgewalten möglich zu machen, d. h. er findet den Boden bebaut, so weit es eben Fels und Meer zulassen, auf daß er einen magern Ertrag аn Gerste abgebe; er findet Häuser, die gut genug sind um ihre Bewohner gegen dаs wenig rauhe insularische Klima zu schützen, und deren Dächer mit Rasen gedeckt sind, auf daß sie nicht von den furchtbaren Stürmen fortgetragen werden, welche die Inseln im Winter heimsuchen; er findet bei den Bewohnern eine Kleidung, die für einen beständigen Aufenthalt auf Meer und Bergen die größte Vollkommenheit besitzt, wie mаn sich bei einigen Wanderungen auf den Inseln bald überzeugen wird, sobald mаn sich genöthigt sieht sie selbst zu gebrauchen; in Häusern der Beamten und Pastoren, die äußerlich sich nicht von denen der Bauern unterscheiden, findet er Tapeten, polirte Möbel und andern Comfort, den Kopenhagen stellen kann, kurz er findet, mаn lebt auf den Faröern, wenn auch manchmal ein Leben, welches einerseits Muth und Entschlossenheit, andrerseits Menschenliebe und Pflichttreue in einem Grad in Anspruch nimmt, daß sich so etwas ein behäbiger Beamter oder Bürger einer guten deutschen Stadt nie wird auch nur träumen lassen; so gibt es wohl kaum einen beschwerlichern, gefahrvollern Beruf auf der ganzen Erde als den eines praktischen Arztes auf den Färöern. Auch ist nicht in Abrede zu stellen, daß neben diesem äußern Leben auch ein, wenngleich nicht augenfälliges geistiga« Leben einhergeht; der faröersche Bauer ist wohl bis zum letzten eben so gut unterrichtet als der deutsche; аber eine größere Offenbarung des menschlichen Geistes, irgend ein öffentliches Denkmal, dаs über der Gewöhnlichkeit des Lebens stünde, findet der Fremde auf den Färöern nicht anders als in einer „Ruine,“ stammend aus einer längst verklungenen Zeit. Es ist аber auch dаs eine Ruine, die bei dem denkenden Reisenden nicht nur deßwegen Bewunderung und Wohlgefallen erregen muß, weil er sie auf jenen einsamen Felsriffen im weiten Ocean, so entfernt von Werken derselben Art und in einer Natur findet, welche nur Feindschaft in sich zu tragen scheint gegen alles was der Mensch dort unternehmen will, und weil sie so sehr contrastirt mit wirklich durch Menschenhand auf diesen Inseln bestehenden, sondern auch аn und für sich durch dаs Kunstgepräge dаs ihr aufgedrückt, und die historischen Erinnerungen die sie erweckt, sein Interesse aufs höchste in Anspruch nehmen wird.

Auf der Insel Stromöe, аn deren südöstlicher Küste und ziemlich im Mittelpunkt derselben liegt Thorshavn, der Hauptort auf den Färöern; auf derselben Insel, аn ihrer südlichen, dort kaum eine Meile breiten Küste und eine halbe Meile von Thorshavn entfernt, liegt ein anderer Ort, Namens „Kirkeböe“. Die färingischen Orte, oder Bygden, nach der Sprache des Landes, sind nach der Natur des Bodens auf dem sie sich meist befinden, eigenthümlicher Art. Die Faröer-Inseln sind nämlich nur Berge, die mitten in den Ocean hineingesetzt sind, und nur ein schmaler Saum, аn dem auch nur manchmal, allmählich verlaufenden Fuß dieser Berge, ehe sie mit steilem Rand in die tiefblaue See niedertauchen, gibt den Raum für die färingischen Orte mit den sie umgebenden Feldern; deßwegen finden sich viele einzelne Gehöfte, und selten mehr als 8, höchstens 10 Häuser au einem Platz und amphitheatralisch über einander aufgebaut; auf einem solchen, und zwar sehr schmalen Saum der südlichsten Berge von Stromöe steht der Ort Kirkeböe; derselbe besteht nur aus einem Bauernhofe, bei dem eine kleine gegenwärtig im Gebrauch stehende Kirche und unsere zu besprechende Ruine liegen.

Es ist hier nicht der Ort, und ich wäre auch nicht im Stande Ihnen auch nur einen Abriß der färingischen Kirchengeschichte zu geben, nur so viel sey bemerkt, daß sie mit der norwegischen zusammenfällt; im 11ten Jahrhundert wurde auf den Faröern ein katholisches Bisthum gegründet, über welchen Hergang sich noch eine sagenhafte Erzählung im färingischen Volke erhalten hat; in Mitte des 16ten Jahrhunderts mußte dieses Bisthum sammt dem Katholicismus der Einführung der Reformation weichen. Der katholische Bischof hatte zur Zeit seinen Sitz in Kirkeböe, und die noch im Gebrauch stehende kleine Kirche war seine Kathedrale; diese Kirche unterscheidet sich von den andern schmucklosen Bretterkirchen des Landes dadurch, daß sie von Steinen aufgemauert und selbst weiß betüncht ist, wie dort kein anderes Gebäude auf den Inseln; in ihr sollen sich auch noch verschiedene Reste der katholischen Zeit finden, als da sind geschnitzte Stühle, Grabsteine und anderes. Im Anfang deS 16ten Jahrhunderts begannen nun die färingischen Bischöfe den Bau einer größern Kathedrale, über dessen Ausführung sie аber und nahe vor deren Bollendung von der Reformation überrascht wurden; dаs hätte ein Dom werden sollen, der sich mit jedem andern der Christenheit messen könnte.

Ich hatte mir schon vorher öfter sagen lassen, daß auf Kirkeböe noch Reste einer alten katholischen Kirche stehen, „die Mauern,“ wie sie die Färöer schlechtweg nennen, bezeichnend genug, denn es ist auf allen Inseln sonst keine „Mauer;“ auch hatte mir der katholische Missionär in Thorshavn etwas gezeigt, dаs eine Zeichnung davon seyn sollte, аber nur wie ein Stück rohen Mauerwerks erschien, und ich wäre, da mich meine eigentlichen Interessen nicht hinführten, gar nicht аn Ort und Stelle gekommen, wenn ich nicht meinem Reisegefährten, Prof. Maurer, versprochen gehabt hätte mir den Sachverhalt zu besehen; ich bestimmte darum auch für den Besuch einen der letzten Nachmittage meines Aufenthalts auf den Faröern, bevor mich dаs Dampfschiff nach Island weiter bringen sollte, аber wie war ich erstaunt als ich vor den „Mauern‘ stand!

Ich wanderte am 25 Mai Nachmittags 4 Uhr mit einem Führer von Thorshavn ab zu Land über dаs Gebirg Kirkeböe zu; neugierig, wie die Faröer sind, und welche Eigenschaft sie mit jedem abgeschlosten lebenden Volke gemein haben, fragte jeder Begegnende meinen Führer, wo er den „Tuskmand,“ den Deutschen, hinführe, und vernahm mit größtem Erstaunen die Antwort nach „den Mauern;“ als sie bei der Rückkehr gar hörten daß ich, die Mauern gezeichnet, wiederholten sie nur dаs ihnen unbegreifliche „auch gezeichnet,“ kopfschüttelnd.

Bei Kirkeböe fällt ein langer mäßig hoher Bergrücken mit mehrern zu Tag ausgehenden Felszügen des basaltischen Gesteines umgürtet, mit einer schmalen, kaum hundert Schritt breiten, sanft geneigten Terrasse in die See; diese Terrasse hat kaum Raum für folgende Gebäude: nämlich ein Bauernhof mit Nebengebäuden, in gleicher Linie, nach der Richtung der Küste, die Ruine des alten Doms, und tiefer, unmittelbar am Strand, zum Theil auf einem künstlichen Steindamm, die kleine Kirche, аn welche die Brandungswellen hinaufschlagen; über Bauernhof und Ruine steigt gleich der Berg steil an, gen West wird die Terrasse etwas breiter, und hier folgen Wiesen und Aecker; gen Ost wird sie schmäler, steiler, mit Felsblöcken bedeckt bis auf eine Viertelstunde, wo sie wieder breiter wird und noch ein paar Häuser stehen. Ueber die See, dаs eine Meile breite Fiord, von Süden, sehen die niedern, аber gerade ins Meer abfallenden Berge von Sandöe herüber, die westlich mit dem bizarr aus den Fluthen auftauchenden, abgerissenen Felsengipfel Trollhoved, Hexenkopf, genannt, endigen; gen Ost versperrt der einförmige Bergrücken der Insel Hestöe größtentheils den Ausblick in den weiten atlantischen Ocean. Wie lange der Blick auf dem Festen sucht, dаs über der beweglichen Fluth, die hier nie ruhig wird, indem die Periode von Ebbe und Fluth ein beständiges Strömen zwischen diesen Inseln erzeugen, wie weit er schweift über diese Inseln hin, er findet keinen Baum, keinen Strauch, nur fahle Grashänge schmiegen sich zwischen und um die düstern, dunkeln Felsringe des basaltischen Gesteines. In solcher Umgebung also, wo einzig die Werke eines andern, höhern Meisters Staunen und
Ehrfurcht erregen, steht der Rest eines Werkes von Menschengeist und Menschenhand, steht die herrliche „Domruine“ auf den Färöern.

Das, was nun Ruine ist, war einmal ein bis auf daS Dachgerüste und die innere Ausschmückung vollendeter, im gothischen Styl erbauter Dom; noch bis jetzt ist аn demselben, ausgenommen theilweise Beschädigungen, ein Detail von Fenstern und Portalen, alles bis auf dаs Gewölbe erhalten, sogar die sogenannten Apostelsteine аn der Innenseite der Wände, sowie ein Stein mit ausgehauenem Crucifix und einer unleserlichen oder wenigst durch die Verwitterung der Steinmasse schwer leserlich gemachten Umschrift аn der östlichen Außenseite neben dem großen Portale, sind erhalten. Die Längenrichtung der Ruine ist von Ostnordost nach Westsüdwest; nach dem Augenmaß geschätzt ist dieselbe circa 60—70 Fuß lang, 40—50 Fuß hoch, und 30 Fuß breit. Das Material sind Quadern aus dem Gestein der Inseln gehauen, die Apostelsteine dagegen aus weiß-grauem Marmor, und die Mauern 4—5 Fuß dick. Im Ganzen und im Detail scheint mir der Spitzbogenstyl rein durchgeführt, die Verhältnisse traten mir in allem wundervoll schön entgegen. Ein hauptgrößtes Portal führt von Osten in dаs Gebäude, ein zweites, mehr nieder, ist gegen die südwestliche Ecke, ein dritter kleiner Eingang ist аn der Südseite und ein vierter аn der Westseite. Die Südseite hat fünf hohe Fenster, drei zwischen dem südwestlichen Portale und dem kleinen Eingang im Süden, und zwei gen Ost von diesem Eingang; аn der Nord-Bergseite ist аn dem nordöstlichen Ende des Schiffes die Sakristei angebaut mit einem Fenster, zwei weitere Fenster gehen auch noch von dieser Seite ins Schiff der Kirche. Von dem Spitzbogengewölbe stehen nur noch die Aussätze аn den Wänden.

Diese Angaben mögen genug seyn, um eine Vorstellung vom Aussehen und der Größe dieser nunmehrigen Ruine möglich zu machen.

Man hat dänischerseits auch dаs werthvoll interessante derselben erkannt, und ist der Befehl gegeben dieselbe zu erhalten, ja sogar Restaurationsarbeiten wurden vor mehreren Jahren anbefohlen, die аber dahin verstanden wurden daß mаn sie mit einem weißen Kalkanwurf beklecksen sollte; letzterer ist nun freilich und zum Vortheil der Ruine wieder größtentheils abgefallen. Ein größeres Glück für diese Ruine, als diese Uebertünchung war, ist, daß sie sich аn einer der einsamsten, und von der See her schwer zugänglichen Stellen der Insel befindet, denn wäre sie in Thorshavn, so würde sie wohl schon längst eine andere Verwendung, etwa für eine Beamtenwohnung, gefunden haben. Einen weitern Schutz gegen rohe Zerstörungssucht hat sie im Aberglauben der Färinger, sie fürchten „die Mauern“ als nicht geheuer, es soll ein Schatz innerhalb derselben begraben liegen, und verschiedene, die es schon versucht sich desselben zu bemächtigen, seyen schlecht dabei gefahren. Die Ruine steht nun im Hofraum des Bauerngutes und ist mit einem mächtigen Wall eines färingischen Zaunes aus ungeheuren Basaltblöcken umgeben, der Bauer benützt nur ein Portal, um darin seine Fische zum Trocknen aufzuhängen, denn er wagt sich nicht weiter hinein; dаs Terrain um dieselbe, besonders auf der Nord-Bergseite, ist so sumpfig naß, daß es schwer ist sich ihr zu nahen. Ich war zwei Stunden аn Ort und Stelle und zeichnete, während ich vom ganzen Inhalt deS Bauernhauses аn Menschen umstanden war, so lange als es mir der scharfe Nordwest, der mir durch die Finger fuhr und sie erstarrte, nicht unmöglich machte. Die andere kleine Kirche, in der ich nur eine ebenso geschmack- und schmucklose Hütte vermuthete, wie die übrigen Faröerkirchcn, besah ich bei der Kürze meines Aufenthaltes nicht, denn daß sie die älteste Kirche auf den Inseln, und noch viele Reste einer vergangenen Zeit enthielt, erfuhr ich erst bei meiner Zurückkunft nach Thorshavn, als ich meine Bewunderung der Ruine aussprach.

Die vorgeschrittene Zeit mahnte mich den Rückweg anzutreten, den ich überdies benützen wollte ein paar Vögel zu schießen, um damit meinen nächsten Mittagtisch zu versorgen; mein Weg führte mich über eines der Terrassenplateaus, die sich auf den Faröer so häufig finden, und die der Tummelplatz vieler Vögel, namentlich der „Austernfischer“ sind; so geht es dem Menschen, mit einem Schritt ist er aus dem Geistigen im graß Materiellen — die Schwärmerei für die Tempelruine endigt mit einer prosaischen Jagd. Es war ein herrlicher Abend geworden, der Nordwest hatte mittlerweile den Himmel rein von Wolken gefegt, die Sonne stand Abends 8 Uhr noch hoch über dem Horizont, und warf ein zauberisches Licht über die Berge von Sandöe, Hestöe, Kolter und die fernern Gipfel und Zinken von Waagöe, und darüber hinaus erglänzte silbern die endlose Fläche deS nordischen Oceans.

Die Empfindungen welche der Anblick dieser Naturscenen in mir erregt, zusammen mit jenen welche noch vom Anschauen der Ruine her in mir lebendig waren, müssen Schuld gewesen seyn, warum ich endlich doch beutelos, wie sonst nie, heimkehren und des andern Tages wieder mit Fischen und Smör vorlieb nehmen mußte. Doch mir bleibt jener Tag auf Stromöe unvergeßlich, und vielleicht ist es doch keine ganz nutzlose Arbeit auch meinen fernen Landsleuten von dem Daseyn der Domruine auf den Färöern erzählt zu haben.