Die Beziehungen der Jahreszeiten zur Tuberkulose.

Dr. Heerup, Färöer.

Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung 1928 (68), Seite 739-745 [FAB-1043]

Es ist mir eine außerordentliche Ehre, in einer so kompetenten Versammlung eine kurze Mitteilung vorzubringen. Ich hatte Bedenken, der Einladung des Herrn Prof. Brauer nachzukommen, und ich bin ihr nur gefolgt, weil dаs Schicksal mich аn einen Ort gebracht hat, wo die geographischen und sozialen Verhältnisse sehr eigentümlich sind, weshalb ich glaube, es möchte interessieren, etwas von der Tuberkulose auf diesen Inseln zu hören.

Die Färöer sind eine kleine Inselgruppe unter 62 Grad nördlicher Breite und zwischen 6. und 8. Grad westlicher Länge im atlantischen Meere mitten im Golfstrome gelegen. Das Areal ist 1406 gm.

Die Einwohner zählen 22835 (1925) und sie machen eine selbständige nordische Nation aus. Auf den Färöer wohnen außer den Färingern nur 3 pro mille Dänen und ganz vereinzelt andere Ausländer.

Die Färinger ernähren sich durch Schafzucht und Fischerei. Der letztere Erwerb ist viel wichtiger als der erstere, indem weit mehr als die Hälfte der Bewohner Fischer sind.
Die Inselgruppe besteht aus 17 bewohnten Inseln, die durch strömende Sunde voneinander geschieden sind. Die Inseln sind kahle Felseninseln mit Gräsern bewachsen. Bäume finden sich kaum oder nur spärlich.

Die Häuser der Färinger sind die letzten 50 Jahre viel verbessert worden; jetzt gibt es nur sehr wenige von den alten aus Stein und Erde gebauten Häusern (veggjahus); die meisten Häuser sind aus Holz gebaut, und zur Zeit wird auch oft Zement als Baumaterial benutzt. Die Wohnungen sind gut eingerichtet, аber leider werden sie nicht immer zweckmäßig verwendet, indem es überall ein Staatszimmer gibt, dаs nicht benutzt wird, und statt dessen häufen sich die Bewohner in einem Zimmer oder in der Küche zusammen; gleichfalls kommt es sehr oft vor, daß mehrere Familienmitglieder ein gemeinsames Bett benutzen.

Die hygienischen sowie die sozialen Verhältnisse sind für die Bewohner so gut wie gleichartig; es gibt sehr wenig reiche Leute, аber auch gar keine Armut, wie sie sich in den Großstädten findet. Es darf bestimmt behauptet werden, daß bei uns kein Mensch hungrig schlafen geht.

Die Färinger leben sehr genügsam; die tägliche Kost besteht aus Fisch (gekochtem), Kartoffeln und Brot, nur selten essen sie Fleisch, und dann meistens Walfleisch, am häufigsten gesalzenes. Außerdem ein wenig Milch und Eier. Fisch und Kartoffeln werden meistens zusammen gekocht, und auch noch heutzutage oft von der ganzen Familie aus einer Schüssel mit den Fingern gegessen, was natürlich eine große Ansteckungsmöglichkeit darbietet.

Die Dörfer liegen recht gleichmäßig аn den Küsten der Inseln zerstreut, und vielen Verkehr pflegen die Einwohner nicht miteinander. Es gibt аber hier eine nationale Sitte: der färöische Tanz, welcher ein Kettentanz ist und am liebsten – d. h. wenn er ein „guter“ Tanz sein soll – in einem Zimmer getanzt werden muß, dаs eben von den Tänzern gefüllt werden kаnn und nicht größer ist. In vielen Dörfern ist ein solcher Tanz eine wöchentliche Erscheinung. Auf diesen Tanzböden und in den kleinen Kajüten der Schiffe, wo so viele Färinger monatelang zusammengestaut bei Island oder Grönland während der Fischerei leben, haben viele junge Männer ihre Lungentuberkulose durch Ansteckung bekommen.

Mit dem Auslande gibt es auch nicht vielen Verkehr; im Sommer ein Postschiff jede Woche und im Winter jede zweite Woche. Ist in der Neuzeit der Verkehr gering, dann ist es natürlich, daß es früher nur einen sehr sparsamen Verkehr gab. Zu der Zeit der Segelschiffe verliefen mehrere Monate ohne jede Verbindung mit der Außenwelt.

Dieses hat selbstverständlich einen großen Einfluß auf die Geschichte der Krankheit auf den Färöern.

Die Geschichte der Tuberkulose auf den Färöern ist ganz kurz:

1894 teilte J. Russel in einem Aufsatze in the Lancet: „The pathology of the Faroe Islands“ mit, daß die Tuberkulose so gut wie unbekannt auf den Färöeinseln sei.

Hirsch hebt dasselbe 1886 hervor (Handbuch der historisch geographischen Pathologie).

Dies ist ganz sicher nicht richtig: Boeg erwähnt in seiner bedeutungsvollen Dissertation, daß die Krankheit schon in den Kirchenregistern im Schlusse des 18. Jahrhunderts erwähnt wird. Er glaubt, daß es sich hauptsächlich um eingeschleppte Fälle handelt.

Manicus teilt 1824 in der dänischen Zeitschrift „Bibliothek for Laeger“: „einige Beobachtungen über die auf den Färöern herrschenden und daselbst fehlenden Krankheiten“ mit, daß die Krankheit vorkommt, 1832 sagt derselbe Verfasser in einem Aufsatze: „Annotaliones (sic!) in historiam et aetiologiam morborum quorundam borealium“, daß die Krankheit sehr selten ist.

Hierzu bemerkt Physikus Boeg ohne Zweifel richtig, daß zu der Zeit, als nur ein Arzt auf den Inseln war, die Tuberkulose eine Krankheit war, bei der mаn den Arzt nicht holte; dies wäre sowohl zu kostspielig als auch mit außerordentlicher Mühe verbunden, da es sich um lange Reisen und primitive Beförderungsmittel handelte.

1843 wurden im kleinen Hospitale in Thorshavn 19 Patienten behandelt, davon 4 mit Tuberkulose, ein Zeichen, daß die Krankheit nicht so ganz selten war.

1872 wird im Jahresberichte des königlichen dänischen Gesundheitskollegiums erwähnt, daß die Phthisis pulmonum, welche früher beinahe unbekannt auf den Färöerinseln gewesen sein soll, jetzt öfters vorkommt und jedes Jahr um sich greift.

1879 wurde die Sterblichkeitsstatistik endlich geordnet durch dаs Gesetz der Leichenbesichtigung vom 29. III. 1878 mit dazu gehörigen Instruktionen, und erst jetzt zeigte es sich, daß die Krankheit recht ausgebreitet war.

So zeigt die Statistik, daß in der Periode 1879-1898 11,8 Tuberkulosetodesfälle pro 10000 Einwohner angemeldet wurden, welche Zahl ziemlich mit den Verhältnissen in Dänemark und einer Statistik von Straus über einige französische Kleinstädte übereinstimmt: 14,9 pro 10000 Einwohner.

Die Färöer gehören seit mehreren Jahrhunderten staatsrechtlich zu Dänemark und wurden von dort administriert. Bis im Jahre 1856 war jede Handelsunternehmung monopolisiert und vom dänischen Staate besteuert. Dies bedeutete, daß die Färinger nach der damals einzigen Verkaufsstelle der Inseln mit ihren Fischen und Fleisch und Wolle reisen mußten und dort ihr Mehl, Zucker usw. holten.

Oft waren natürlich die Einwohner mit diesem Zustand sehr unzufrieden, аber meistens wurden sie doch wohl mit den notwendigsten Nahrungsmitteln versorgt. 1856 wurde dаs Monopol aufgehoben, und Boeg meint, daß der Freihandel, der natürlich im Beginne mit verschiedenen Beschwerden zu kämpfen hatte und oft versagte, so daß ein wirklicher Notzustand in der Übergangszeit periodenweise eintrat, schuld daran war, daß die Tuberkulose sich verbreitete.

Die meteorologischen Verhältnisse auf den Färöern sind in verschiedenen
Beziehungen eigenartig.

Dies gilt z. B. von den Temperaturverhältnissen und der Anzahl der Sonnen-
scheintage.

Sowohl dаs eine wie dаs andere wird durch die Lage der Inseln mitten im Golfstrome verursacht.

Das Klima ist im Sommer kälter und im Winter wärmer als z. B. in Dänemark.

Ich habe die meteorologischen Verhältnisse in Lyngby (bei Kopenhagen) in Dänemark und Thorshavn (Höjvig) auf den Färöern verglichen.

Ich weiß wohl, daß die Witterung nicht überall auf den Inseln gleichartig ist, z. B. ist der Niederschlag in Kvalvig, ca. 20 km von Thorshavn entfernt, 3223 mm, während er in Thorshavn 1511 mm ist, durchschnittlich in 5 Jahren.

Kvalvig ist eine überaus regnerische Stelle und Thorshavn ist zentral gelegen; deshalb habe ich diesen Platz gewählt.

Die Durchschnittstemperatur in Thorshavn ist von 40 Jahren ausgerechnet, während ich für Lyngby betr. nur 30 Jahre verwendet habe:

Die Durchschnittstemperatur ist also bei uns ca. 2 Grad niedriger als in Dänemark.

Betreffs der einzelnen Jahreszeiten sieht die Zusammenstellung so aus :

Von bedeutend größerem Interesse ist jedoch die Anzahl der Sonnenschein-tage und der Sonnenscheinstunden. Ich vergleiche ebenfalls hier die Angaben aus Lyngby (nach Beobachtungen durch 10 Jahre) und aus Höjvig bei Thorsharn (nach 4jährigen Beobachtungen). In den Jahren 1922-1925 sind in Höjrig pro Jahr durchschnittlich 950 Sonnenscheinstunden gewesen. In der nachfolgenden Kurve habe ich die Anzahl der Sonnenscheinstunden pro Monat in Höjrig und Lyngby verglichen.

In Lyngby ist in den Jahren 1913-1922 der jährliche Durchschnitt der Sonnenscheinstunden 1769 pro Jahr gewesen.

In Lyngby sind in 10 Jahren jährlich durchschnittlich 93 Tage ohne Sonnenschein gewesen, während der jährliche Durchschnitt in Höjvig (in 5 Jahren) 126 sonnenlose Tage gewesen ist.

Die monatliche Anzahl der Sonnenscheinstunden in Lyngby und Höjrig habe ich hier verglichen:

Bekanntlich ist auf den Färöern Nebel eine häufige Erscheinung, hinsichtlich seiner ist es аber interessant, was Mitglieder einer strahlenbiologischen Expedition vom Eppendorfer Krankenhaus in Hamburg mir mitgeteilt haben, daß nämlich der hiesige Golfstromnebel 5% gewisser ultravioletter Strahlen hindurchgehen läßt, während z. B. der durch Staub und Rauch verunreinigte Nebel über einer Großstadt wie Hamburg überhaupt nichts hindurchgehen läßt.

Wie verhält es sich augenblicklich mit der Tuberkulose auf den Färöern?

Die Zahl der Einwohner ist, wie schon erwähnt, 22835. Die durchschnittliche Anzahl der Tuberkulosetodesfälle in den letzten 5 Jahren ist 36 gewesen. Wenn mаn die durchschnittliche Lebenszeit auf 7-8 Jahre pro Individuum schätzt, sind augenblicklich auf den Färöern etwa 300 tuberkulös.

Die Sterblichkeit ist in den Jahren 1879-1898 11,8 pro 10000 gewesen. Ich habe аn der nachfolgenden Kurve gezeigt, wie die Verhältnisse seit 1898 gewesen sind. An der Kurve habe ich die Sterblichkeitskurve der Städte des übrigen Königreiches mitgezeichnet, und mаn bemerkt, wie auffallend weit kräftiger der Ausschlag der Kurve der Färöer als der der anderen ist.

Dies rührt teilweise davon her, daß’es sich hier um niedrige Zahlen handelt: es ist аber auch auffallend, daß ein Steigen der Kurve zu den Zeitpunkten vorkommt, wo ernsthafte Epidemien – entweder Influenza, Keuchhusten oder Masern – gewesen sind.

Man bemerkt, daß die Sterblichkeit sich jetzt ein wenig vermindert hat. Ob dies dadurch verursacht ist, daß mаn die Wirkungen der Influenzazeit nicht mehr merkt oder es sich um eine ganz zufällige Erscheinung handelt, weiß mаn noch nicht.

Die Zahlen, die ich benutzt habe, sind außer den Mortalitätstabellen die gesetzlichen Berichterstattungen der Ärzte über die Tuberkulosefälle.

Die letzteren sind wohl nicht so zuverlässig wie die ersteren; ich habe sie dennoch für die nachfolgende Kurve benutzt, da ich glaube, daß die Durchschnittszahlen von 27 Jahren einen Eindruck geben, auf den mаn sich leidlich verlassen kann; es zeigt sich auch, daß die Kurve eine unzweifelhafte Ähnlichkeit mit der der Landbevölkerung des übrigen Königreiches hat.

Überdies ist hier eine Kurve, die die angezeigten Tuberkulosefälle in Kopenhagen, monatlich geordnet, zeigt.

Ich habe nun diese 3 Kurven mit der Kurve Nr. 1 „Die Anzahl der Sonnenscheinstunden“ verglichen und bemerke die auffallende Übereinstimmung der Kurven der Sonnenscheinstunden und der Krankheitsfälle in den Landbezirken des übrigen Königreiches und auf den Färöern.

Kurve Nr. 5 (Kopenhagen) weicht ganz von den anderen ab.

Es ist eine allgemeine Annahme, daß die Erkältungskrankheiten (Bronchitis und Bronchopneumonia) die Entstehung der Tuberkulose sehr begünstigen, und ich habe deshalb für dieselben 27 Jahre die angezeigten Erkältungskrankheiten monatweise geordnet.
Diese Kurve sieht so aus:

Wenn mаn die Kurven vergleicht, ist die Kurve der Erkältungskrankheiten eine ganz andere als die der Tuberkulosefälle, die in den späteren Frühlingsmonaten gipfelt, während die Erkältungskrankheiten mitten im Winter am häufigsten sind.

Dawider ist es auffallend, daß die Kurve der Tuberkulosefälle auf dem Lande in Dänemark und auf den Färöern der Kurve der Sonnenscheinstunden vollständig gleicht.

Es ist hier interessant, die Aufmerksamkeit darauf hinzuleiten, daß gerade zu den Monaten, wo die meisten Tuberkulosefälle angezeigt werden, etwa 3000 hauptsächlich junge Männer (1/7 der Bevölkerung) auf der Fischerei bei Island abwesend sind.

Es ist eine abgemachte Sache, daß die angezeigten Fälle die frischen Tuberkulosefälle umfassen, es wird аber kaum gewöhnlich sein, daß ein Tuberkulosefall, der durch Erkältungskrankheit im Monat Januar verursacht ist, erst einige Monate später ärztliche Hilfe sucht; auf alle Fälle darf ich es wagen, durch vieljährige Erfahrung zu behaupten, daß kein Färing mehr als wenige Wochen verlaufen läBt, bevor er zum Arzt geht, wenn er sich nur ein wenig unpäßlich fühlt, geschweige wenn er hustet. Hier, wo etwa 90% der Bevölkerung Mitglieder einer Krankenkasse sind und wo der Bevölkerung mit den 10 Ärzten, die jetzt hier sich finden, recht gut geholfen ist.

Die Ursache des Verlaufs der oben erwähnten Kurven läßt sich nicht feststellen; ausgeschlossen ist es аber nicht, daß die Einwirkung des Lichtes von Bedeutung sein darf. Deshalb habe ich die Einwirkung des Lichtes auf 80 Realschulkinder von 9-16 Jahren und auf 20 Seminaristen mit Bezug auf den Hämoglobingehalt des Blutes und die Blutkörperchen untersucht. Für die Hämoglobinuntersuchung habe ich Sahlis Hämoglobinometer (korrigiert) verwendet. Dieselben Individuen sind Ende Februar, als die dunkelste Zeit vorüber war, und Ende September, als die Einwirkung des Lichtes fast bedeutungslos war, untersucht worden.

Merkwürdigerweise zeigte es sich, daß kein nachweislicher Unterschied zwischen den beiden Untersuchungsreihen war, merkwürdigerweise, weil die Blässe der Kinder im Winter auffallend ist, während sie im Sommer aufblühen und rotwangig werden.

Es darf jedoch nicht ausgeschlossen sein, daß eine gewisse Lichtwirkung auf eine schlummernde Tuberkulose anregend wirken könnte, daß dieselbe zum Ausbruch und zum Vorschein gerade in den späteren Frühlingsmonaten gebracht würde.

Man vergleiche, was bei der Sonnenlichtbehandlung der Lungentuberkulose als eine Grundregel anerkannt ist, daß die Behandlung anfangs sehr vorsichtig vorgenommen werden muß, weil eine kräftige Dosierung schädlich wirken kann. Ferner ist ja die Behandlung nur für ganz besonders leichte Fälle geeignet.

Nach einer langen, dunklen Periode fängt, wie die Kurve zeigt, die Lichtwirkung zu demselben Zeitpunkt an, wo die meisten frischen Tuberkulosefälle angezeigt werden (siehe die Kurve 3).

Der Umstand, daß die Kurve, die „die angezeigten Tuberkulosefälle“ in Kopenhagen zeigt, nicht denselben Verlauf hat, schließt die mögliche Richtigkeit des vorgebrachten Gedankens nicht aus, wenn mаn weiß, daß der Rauch und Staub, der sich in einer Großstadt findet, die Wirkung gewisser Lichtstrahlen hemmt.

(Eingegangen am 15. September 1927.)