Von Prof. DDr. Edward Lehmann.
Meereskunde 1913 (7/11), Seite 1 – 32 [FAB-1769]
Mitunter passiert es einem Menschen, daß er aus seiner guten Stube herausgezogen und auf dаs wilde Meer hingeschleudert wird – um der Wissenschaft willen. Mir ging es nicht anders, als vor einigen Jahren die dänische Regierung geruhte, mich nach den Färö-Inseln im Nordmeer zu schicken, um den dortigen Menschen etwas Wissenschaft beizubringen. Dadroben gibt es nämlich auch Leute, die etwas wissen wollen; und gerade in den Sommermonaten versammeln sich die Wissensgierigen: die Schullehrer, Gemeindevorsteher u. a., die als Mitglieder des kleinen Parlaments, dem die Verwaltung der Inselgruppen wesentlich anvertraut ist, sechs oder acht Wochen in der Hauptstadt Thorshavn zubringen müssen.
Aber Sie wissen vielleicht noch gar nicht, wo die Färö-Inseln liegen? So geht es Ihnen nicht besser als dem englischen Matrosen, von dem mir der Kapitän des Kabeldampfers, der vor Thorshavn arbeitete, erzählte. Wie die Deutschen nämlich manchmal die Inseln die Farö-Inseln nennen, nennen sie die Engländer the Pharo-Islands. Dem guten Matrosen war es ganz wunderlich, daß sie nach diesen Inseln nordwärts steuerten; er hatte immer geglaubt, daß the Pharao-Islands, wie er sie nannte, in Ägypten lägen, were something in Egypt.
Nichtsdestoweniger liegen sie im Nordmeer, und zwar eine dreitägige Fahrt gerade nordwärts von Schottland, wo der dänische Dampfer immer Leith anläuft, um sich billiger mit Kohlen zu versehen und dabei auch andere Geschäfte zu erledigen. Dem Reisenden kommt dieser Aufenthalt, der sich bei ungünstiger Flut bis auf 36 Stunden verzögern kann, zustatten. Er kаnn mittlerweile die bezaubernde Schönheit Edinburghs genießen und kаnn sich in den Läden in Princess Street bezaubern lassen, große Ankäufe von schottischen Schals, Teppichen und Mützen zu machen, die er alle für seine Nordreise brauchen kann, und die ihm alle noch zehn Jahre nachher auf seiner Chaiselongue dienlich sind.
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Der Dampfer gleitet längs der Küste Schottlands, verliert sie, während er die große Moray-Bucht schneidet, geht аber аn den nordöstlichen Landinseln bei Duncansbay Head dicht vorüber und bekommt dann wieder Land in Sicht, wenn er quer durch die Orkney-Inseln hindurchgleitet, wo mаn die schottischen schiefergebauten Häuser und die Villen der englischen Herrschaften deutlich vom Schiffe sieht.
Von der weiteren Reise sieht mаn gewöhnlich nicht viel. Entweder ist dаs Wetter still, und die Luft wird nebelig: denn bald kommen wir in die milde Zone des Golfstroms hinein; oder dаs Wetter ist unruhig, und mаn sieht aus anderen Gründen von der Umwelt nicht viel.
Ist mаn аber seefest — und in der Tat sind die langen Wellen des offenen Meeres nicht so garstig wie der kurze Wellenschlag nahe der Küste, die „krappe See“ , wie es die Schiffer nennen —, und kаnn mаn ruhig auf den Verdecken bleiben, so entfaltet sich dem Auge und dem Herz die gewaltige Natur des Nordmeers, dessen öde Fläche dann und wann von kleinen Scharen schnellfliegender Seevögel, mitunter аber auch bei hellem Wetter von dem Spielen und Springen kleiner Wale belebt wird. Einige Wale sah ich – es war der sogenannte „Dövling“ -, die sich dem Schiffe nahe hielten, wahrscheinlich, um im aufgerührten Wasser zu fischen; sie schossen schräg durchs Wasser, so daß sie den weißen Bauch halb nach oben drehten.

1) Für eine große Zahl der Abbildungen, die dem Heft beigegeben sind, haben die Herren Dr. Hans Rudolphi in Prag, Dr. A. Dampf und K. Schreiber in Königsberg i. Pr. in entgegenkommender Weise ihre photographischen Aufnahmen zur Verfügung gestellt. Ihnen sei auch аn dieser Stelle dafür der Dank des Instituts für Meereskunde ausgesprochen.
