Auf den Färöern. Prof. Lehmann – Teil 9 (Schluss)

Von Prof. DDr. Edward Lehmann.

Meereskunde 1913 (7/11), Seite 1 – 32 [FAB-1769]

Für die Färinger selbst war der Fang der Großwale nie eine wichtige Angelegenheit. Dagegen sind die im Sommer scharenweise auftretenden Grindwale (Globiceps melas, eine kleine Delphinart) Gegenstand ihrer besonderen Aufmerksamkeit. Ihr in der Tat auch feines und wohlschmeckendes Fleisch ist die beliebteste Nahrung der Färinger, und der Fang eines Schwarms ist eine erfreuliche, feierliche Begebenheit. Der Fischer oder Schiffer, der auf dem Meere einen Schwarm bemerkt, bindet sofort als Signal sein Wams in den Mast hinauf, und dieses Signal verpflanzt sich eilig unter Wahrung vorsichtiger Stille von Boot zu Boot, bis es von der Küste bemerkt und mit Feuer- und Rauchsignalen beantwortet wird. Dieses Feuersignal — ein Überbleibsel der alten „Baune“ der Wikingerzeit – ruft bald alle die Fischer auf dem Lande zusammen; von Haus zu Haus – selbst in die Kirche hinein, wenn gerade Gottesdienst ist – verpflanzt sich die freudige Kunde. Alle Boote werden schnell bemannt und mit den nötigen Geräten, darunter Wurfsteinen und Speeren, versehen. Die Taktik ist nun diese: einen Halbkreis von Booten um die Wale herum zu bilden, der langsam und vorsichtig in möglichster Stille die Tiere gegen eine für den Fall ausersehene flache Bucht, hineintreiben soll. Sobald dаs so weit gelungen ist, daß mаn annehmen kann, daß die Grindwale nicht mehr umkehren wollen, erhebt mаn plötzlich ein Geschrei und macht mit den Rudern und Wurfsteinen möglichst viel Geräusch und Unruhe im Wasser. Die erschrockenen Tiere fliehen dann landwärts und gleiten von selbst auf den Strand hinauf, wo sie dann getötet und zerhauen werden. Der friedfertige Färing wird in diesem Momente grausam, von alter Mordlust ergriffen, von einem Instinkt aus jener Zeit, da auf dieser Jagd sein Wohl und Weh‘ beruhte.

Auch dаs gehört zu seiner eigentümlichen Lebensweise; und diese ist es gerade, die ihn nicht nur für uns interessant, sondern аn sich wertvoll macht.

Wenn die Leute nur sich selbst und ihrer Harmonie mit der Natur überlassen werden könnten! Aber auch hier treibt die liebe Zivilisation ihr Verwüstungswerk. Schon hat dаs petroleumstinkende Motorboot vielfach dаs achtrudrige Wikingboot abgelöst; Politik wird auch schon auf den Inseln getrieben. Nervenverbrauch wird die Spannung der Muskulatur und den kindlichen Frieden der Seele ablösen. Und so wird dieser typische Menschenschlag dem Anthropologen ebenso uninteressant werden, wie wir übrigen Europäer.

Abbild. 24. Phot. K. Schreiber. In Erwartung der Wale. Die Bootsflotte treibt die Grindwale in die Bucht von Midvaag.
Abbild. 25. Phot. K. Schreiber. Fang von Grindwalen. Die Wale in der Bucht von Midvaag von Booten umstellt.
Abbild. 26. Phot. K. Schreiber. Fang von Grindwalen. Die Wale werden auf den Strand zu getrieben. Im Vordergrunde ein Wal mit durchgeschnittenem Genick.
Abbild. 27. Phot. K. Schreiber. Fang von Grindwalen. Die toten Wale bei Ebbe auf dem Sandstrande.