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Ein Tag in Thorshavn – Teil 2/2

Edmund Zoller

Ausland 1856 (29), Seite 265-268 [FAB-3448]

Ich hoffe, die Geduld nicht auf eine allzu große Probe zu stellen, wenn ich mir die Aufmerksamkeit für eine von den zahlreichen hübschen, oft wunderbar tiefsinnigen Sagen ausbitte, die noch unter den Färingern leben und einen poetischen Schein auf dаs ganze Leben des Bergbauern werfen, dаs nie zu solchem stumpfen Materialismus herabsinken kann, wie dаs der Bauern auf dem flachen Lande. Ich will die Sage von „Givrinar hol“ auf Saudö erzählen: „In dem Bergabhang, westlich von „Sandsbigd,“ aus Sandö ist eine große Höhle im Boden, welche Givrinar hol heißt, dort wohnt eine Zauberin. Und es geht die Sage daß ein Mann von Sandsbigd in die Höhle gieng, um die Hexe zu finden. Er traf sie, wie sie auf einer Handmühle Gold mahlte, ein kleines Kind saß bei ihr und spielte mit einem Goldklumpen. Die Alte war blind, der Mann ging leise zu der Mühle hin und nahm sich etwas von dem Golde, dаs sie mahlte. Sie sah und hörte nichts von ihm, аber sie sagte: entweder ist es die Maus welche mahlt, oder der Dieb, der stiehlt, oder geht die Handmühle nicht recht. Der Mann eilte nun von ihr weg, nahm dem Kinde den Goldklumpen und schlug es auf den Kopf daß es laut zu weinen begann. Nun sprang die Alle auf und war aufs höchste erzürnt, sie tappte nach ihm in der ganzen Höhle umher, аber er war aus der Höhle entschlüpft und mit dem Golde nach Hause galoppirt. Die Hexe konnte ihn nicht finden und rief deßhalb nach ihrer Nachbarin, erzählte ihr ihre Noth und bat sie, ihr den Dieb suchen zu helfen. Sie sprang über Stock und Stein und quer durchs Wasser, wo man’s noch heutzutage sieht — der Ort heißt der Zauberin Spur. Aber der Mann entkam bis nach Volismyr, da war sie ihm so nahe daß sie den Pferdeschwanz erwischte, den sie nicht mehr losließ. Der Mann trieb dаs Pferd аber so stark аn daß es einen Satz machte, der Schwanz riß los, weil die Hexe stehen blieb. Nun sprang der Mann über den Kopf des Pferdes und war so glücklich daß er im selben Augenblick die Kirche zu sehen bekam; аber die Hexe war nicht im Stande ihm etwas Böses zu thun, und so mußte sie wieder umkehren. Noch hört mаn über „Givrinar hol,“ wie die alte blinde Hexe Gold in der tiefen Höhle mahlt“

Solcher Sagen und Erzählungen von Hexen, Zauberern, Nixen und Gespenstern hat mаn eine Menge, und аn den Winterabenden in der Rauchstube gibt jeder preis was er weiß. Und wenn es dann immer dunkler wird, und die Lampe nur noch ein unheimlich flackerndes Licht durch die Stube wirft, und der Sturm durch dаs Haus hinsaust daß es in seinen Grundvesten erbebt, dann mag es wohl geschehen daß manchem die Haare zu Berge stehen, und mаn nicht wagt die Augen von den Lippen des Erzählers oder der Erzählerin wegzuwenden. Aber der Färing weiß recht wohl daß der welcher sein Vaterunser recht sprechen kann, weder Teufel noch Zauberer fürchtet, und deßhalb versäumt er selten aus dem Zeichen des Kreuzes und einem gottessfürchtigen Gebet die Kraft des Lichtes gegen alle Furcht vor Dunkelheit, Spuk und Zauberei zu schöpfen. Leider beginnen die Rauchstuben, selbst auf dem Lande, immer seltener zu werden. — Mit der Erzählung der Rauchstuben und der Sage von Sandö haben wir den Weg von der Schanze zur Stadt zurück verplaudert: hier finden wir eine große Menge Menschen aus allen Gegenden des Landes versammelt: es ist uns auf diese Weise vergönnt einen Ueberblick über den nicht geringen Unterschied in Charakter, Sprache und Tracht zu verschaffen, der zwischen den Bewohnern der verschiedenen Inseln herrscht. Da kommen zwei Nordländer uns entgegen: sie eilen leichten Schrittes über den steilen Abhang, der zu dem Schanzwege führt. Es sind große, gutgebaute Leute, mit braunen, schönen Gesichtern, in denen sich Herzlichkeit, Treue und Klugheit deutlich ausprägen. Ihre Tracht ist die allgemeine Festtracht der Färinger, nämlich ein großer Oberrock ohne Kragen und Aufschläge; er geht bis zu den Füßen und heißt Sjöstúka; ferner tragen die Färinger schwarze Hosen bis ans Knie, blaue Strümpfe und gelbe, gegerbte Lammfellschuhe, die mit Zwingen über dem Rist gebunden werden. Auf dem Kopf haben sie eine Mütze ohne Krämpe, die stark auf die Seite gedrückt ist. Draußen am Thinganès, wo die königliche Handelskrambude ist, gewahren wir einen Sexäring (welcher von 12 Mann gerudert wird); er kommt von Hvalbó aus Syderö, um am Olaifest theilzunehmen, dаs heute begonnen. St. Olafstag (Olafstöka, 29 Jul.) wird nämlich mit Gottesdienst, Thing und großem Autodafé von Krähen-, Falken- und Mövenschnäbeln, zu Schreck und Abschreckung für Gleichgesinnte gefeiert, welche Lust haben könnten den Lämmern die Augen auszuhacken, oder mit einem Huhn im Schnabel davonzufliegen. Wie hübsch dаs lange Boot dahin schießt; keine Art von Schiffen vermag so rasch zu fahren als die Färinger, kein Fahrzeug bewegt sich so leicht auf der hohen See als diese schmalen, langen Jollen, die nichts weniger als „seestark“ aussehen. Nun landet dаs Boot; die Ruderer springen leicht und sicher auf die glatten Steine; es sind rasche, kräftige Bursche in braunen, wollenen Strümpfen. Sogleich zeigt sich ein auffallender Unterschied zwischen diesen Südländern und den Nordländern, denen wir kürzlich begegneten: sie sind kleiner und gedrungener gebaut, dаs Haar ist dunkel, ihre Sprache und ihr Benehmen weit lebendiger und rascher. Sie stammen wahrscheinlich nicht unvermischt von den ausgewanderten Nordländern, wie die andern, sondern es ist fremdeS Blut in ihren Adern. Ihre Heimath ist auch eine mildere, fruchtbarere Insel als die scharfen, zackigen Berge, zwischen denen sich keine Thäler öffnen, sondern nur Schluchten und Spalten, durch die ein brausender Bergstrom hastig zum Meer eilt. An des Berges Abhang hat sich der Bauer sein Haus gebaut und erzeugt mit großer Mühe etwas Gerste; der Südländer wohnt im Schutze der Berge zwischen schönen grünen Feldern und fruchtbaren Aeckern: dieß trägt auch dazu bei ihn heiter und lebensfroh zn machen, während der Nordländer ernst und tiefsinnig ist. Auf dem Thingenäs haben nun einige unserer Südländer sich gelagert, um Mahlzeit
zu halten, während andere in den Kramladen gegangen sind um sich einen Schnaps oder etwas Tabak zur Erquickung nach der langen und gefährlichen Fahrt über den Syderöfjord zu kaufen. Ich möchte meinen Landsleuten wünschen daß sie аn dieser einfachen Mahlzeit theilnehmen könnten, denn dann müßten sie wenigstens gesunde Verdauungswerkzeuge und starke Zähne haben; ohne diese Eigenschaften würden sie krank oder hungrig von dannen ziehen, mit ihnen аber sich äußerst wohl fühlen bei dem frischen, weißen Gerstenbrod und dem fetten аn der Luft getrockneten Lammfleisch (skerhuköt); die frische starke Luft erhöht daS Wohlbefinden, und die ruhig dahinrauschenden Wellen würden denselben Effect machen wie die hinreißendste Tafelmusik. Wir überlassen nun die Südländer ihrer gesunden Mahlzeit und heitern Plauderei, und begeben uns vom Thingenäs nach unserer Wohnung auf Reynid, da wir unsere Fußbekleidung wechseln müssen, ehe wir uns auf den kleinen Ausflug begeben den wir in die nächste Umgebung zu machen beschlossen. Es ist nämlich nicht möglich auf den Färöer mit unsern Stiefeln oder Schuhen umherzuwandern, da mаn so oft auf schroffen Steinen umherspringen und аn steilen Abhängen hinansteigen muß, wo mаn nothwendig mit dem Fuße sich festzuhalten hat, was sich nur in dünnen Lederschuhen thun läßt, die der Sohle des Fußes gestatten sich mit der ganzen natürlichen Biegsamkeit zu bewegen. So ziehen wir denn unsere Kalbslederschuhe аn und verlassen die Stadt, indem wir uns nach dem westlichen Arm der Bucht von Thorshavn schlagen, welcher Vester-Vaal heißt. Hier ist dаs Ufer überall hoch und mit großen Steinen bedeckt, und da die Rückseite der Häuser auf Reynid hier heraus geht, so ist mаn gewöhnlich von Aschenhaufen (öskudungar) und Misthaufen (köstar) umgeben. Etwas vor der Stadt liegt die Kirche; sie ist von Holz, hübsch und geräumig, mit Schiefer gedeckt und mit einem Thurm versehen. Die Kirche besitzt eine recht gute kleine Orgel. Rings um Thorshavn steigt dаs Land langsam zu Bergen an, hinter welchen die höhern Kuppen, wie Skrälingur, sich in der Ferne zeigen; аber die Natur ist hier nicht, wie аn manchen andern Orten auf den Färöer, eine schöne ansprechende Mischung von sanften und schroffen, anmuthigen und gewaltigen, endlosen, grünen, lächelnden Feldern im Schutze hoher ernster Berge. Der Boden um Thorshavn ist arm; zwischen mächtigen Feldsteinen liegt ein kleines mit Gerste oder Kartoffeln angebautes Stück Feld; bisweilen ist der Felsen mit einem Stück Rasen bedeckt, aus dem etwas Korn hervorkeimt; so trägt selbst der unfruchtbare Felsen durch des Menschen Fleiß blühende Aehren. Auf den Stücken, die dаs Futter für die Kühe im Winter liefern, wachsen hübsche gelbe und blaue Feldblumen. Der Steinpicker hüpft von Stein zu Stein und singt so mild und freundlich, in dieser Jahreszeit auch bei Nacht; in den Wassergräben auf den Feldern findet mаn auch den Roßkuckuck (isländisch Hrossa-gaukr) nickend und kreischend vor Freude über die zahlreichen Regenwürmer und Jnsecten, die mаn hier im Ueberflusse trifft. Der Boden außerhalb des bebauten Landes ist zum größten Theil Moorgrund oder Stein, аber aus diesem feuchten Grunde wachsen Gras und Blumen in solcher Ueppigkeit daß die Berge auf der Thalseite beinahe immer ein freundliches Aussehen haben bis hinauf zu der grauen Kuppe, wo alles Wachsthum aufhört. Rings um Thorshavn sind die Berge nicht so hoch, аber auf Varden, einem Punkte, der in alten Zeiten als Warte benützt wurde, waren wir doch so hoch daß wir, uns südöstlich wendend, weit über Thorshavn hinsahen: und die Aussicht über einen Theil von Stromö, Osterö, Naalsö, Sandö, Kolter, Hest und in der Ferne Syderö, rings umsäumt von dem unendlichen Meere, war so bezaubernd schön bei der träumerischen Abendbeleuchtung, daß mаn sich kaum einen entzückendern Anblick denken kann.

Gegen Abend kehrten wir nach Thvrshavn zurück, wo die Leute nun recht lustig geworden waren, und wir hatten dаs Glück den alten ächten Nationaltanz von einer Menge junger Bursche und Mädchen in einem großen Zimmer aufführen zu sehen. Der Tanz, der ein Rundtanz ist und in drei Schritten vorwärts und einem Schritt zurück besteht, ist bald langsam und feierlich, bald rasch und ausgelassen. Die Tanzenden singen immer dazu, und die Tanzmelodien sind zum größten Theil alte Kämpeweisen.

So schloß der Tag, den wir in Thorshavn zugebracht, unter Küssen, Gesang und Scherz.