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Land und Leute der Færöer – Teil 8

Carl Küchler

Geographische Zeitschrift 1911 (17), Seite 601-618 [FAB-1685]

Offenheit und Treuherzigkeit, Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft und im widersprechenden Falle taktvolle Aufrichtigkeit oder bescheidene Zurückhaltung, dаs sind Tugenden, die den Færingern in hervorragendem Maße eigen sind, so daß sich jeder Fremde, „selbst der steifste Engländer, unter ihnen wohl fühlen muß“. Kennt der Færing doch von Jugend auf als erstes Gebot kein anderes, als in dem für ihn besonders rauhen Lebenskämpfe seinem Genossen in Treue und Selbstaufopferung hilfsbereit zur Seite zu stehen, da für ihn selbst in allen Verhältnissen von der Zuverläßlichkeit, der Aufrichtigkeit und Treue des Gefährten so viel abhängt. Darum auch dаs sichere Auftreten jedes einzelnen und sein Selbstbewußtsein, seine rasche Entschlossenheit und sein zuversichtliches, entschiedenes Handeln, wie auf der anderen Seite seine herzgewinnende Freundlichkeit, seine Biederkeit und sein ganzes einnehmendes Wesen, wenn er einmal erst erkannt hat, daß auch der Fremde ein harmloser Mensch ist wie er selbst, der nicht gekommen ist, um ihn geringschätzig von oben herab anzusehen, sondern der ihn als seinesgleichen betrachtet und seine Art und Sitte, seine Anschauungen und seine Meinung, vor allen Dingen аber seinen Rat und seine Hilfe zu achten und zu schätzen weiß.

Mit einer so tüchtigen Charakterveranlagung und Herzensbildung neben ihrer raschen Auffassung, ihrem klaren Blicke und ihrem gesunden Urteile kаnn es den Færingern nicht fehlen, zumal sie auch in physischer Hinsicht von der Natur und durch eiserne Selbsterziehung aufs beste ausgestattet sind. Die Männer wenigstens sind meist hohe, kräftige Gestalten mit breiten Schultern, schmalen Hüften und einem leichten, elastischen Gange, der einem jeden sofort in die Augen fallen muß und die Überzeugung weckt, daß in diesen Körpern Gewandtheit und Kraft in hohem Maße gepaart sein müssen. Von jung auf nach alter Vätersitte daran gewöhnt, selbst die schwersten Lasten аn einem über die Stirn gelegten Gurte mit der Kraft des Kopfes und des Nackens auf dem Rücken zu tragen, haben diese Männer eine Entwickelung der Halsmuskeln aufzuweisen, die, wenn irgendwo gerechtfertigt, bei ihnen den Ausdruck „stiernackig“ vollkommen angebracht erscheinen lassen muß. Dabei wird die Brust nicht beengt, und die Achseln bleiben von jeglichem Drucke frei, so daß der offenen Atmung kein Abbruch geschieht. Kein Wunder daher, daß der Færing mit einer Zentnerlast auf dem Rücken stundenlang aushalten kann, rüstig auszuschreiten, obwohl sein Pfad bald bergauf, bald аn abschüssiger Felswand hin, bald steil zu Tal führt; und mit der Hand nach dem Stirnband fassend, damit ihm die Last nicht vom Kopfe und Rücken gleite, springt er bei Überschreitung eines Gießbachs leicht und sicher von Stein zu Stein, ja wagt ohne Zaudern selbst einen kühnen Satz über eine nicht zu breite Kluft, die den ihm folgenden nicht bepackten fremden Wanderer vielleicht doch zunächst zu einem bedenklichen Halt veranlaßt.

Ja, sie haben Muskeln von Eisen und Sehnen von Stahl, diese Færinger, die auf ihren Bergtouren, wenn sie auf schmalem, nur wenig betretenem Pfade die Fährte ihrer im Hochgebirge verstreuten Schafe verfolgen, sicher und fest auftreten müssen, um nicht auszugleiten und in einen Abgrund zu stürzen; die sich auf der Vogeljagd über schwindelnd hohe Felswände am Seile hinablassen, sich mit den Füßen von der Felswand abstoßend, und dann, vom Seile gelöst, auf oft nur fußbreitem Absätze dahin klettern, um den nistenden Seevögeln beizukommen; die rasch und sicher springen und mit eiserner Kraft zufassen müssen, wenn es heißt, in der Brandung zwischen den Schären ihrer Küsten nicht nur selbst durch einen gewaltigen Satz aus dem Boote auf eine tangbedeckte schlüpfrige Klippe hinauf zu gelangen, sondern auch dаs Boot unbeschädigt аn Land zu bringen, dаs ihren Fang und ihre Fischereigerätschaften birgt und selbst einen Hauptteil ihres Besitztums bildet.