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Um die Unabhängigkeit von Färöer

Der Bund 05.08.1930 (359), Seite 1 [FAB-2984]

Ernste antidänische Demonstrationen — Die färöischen Selbständigkeitsleute verlangen eine färöische Landesflagge

as. Kopenhagens, 1. August.

Es gibt seit einigen Jahren aus den Färöer-Inseln, auf der unter dänischer Staatshoheit stehenden, insgesamt 1325 Quadratkilometer umfassenden Inselgruppe im Nordatlantischen Ozean, eine sogenannte Selbständigkeitsbewegung, auch „Losreißungsbewegung“ genannt. Das Ziel dieser Bewegung ist die Erlangung voller Souveränität der Inseln. Falls Dänemark den Färöerinseln eine solche einräumen würde, könnte — nach der Ansicht der Selbständigkeitsleute — wohl eine Staatenverbindung der Färöerinseln mit Dänemark (etwa nach dem Muster der jetzigen dänisch-isländischen Union) in Frage kommen; hierüber wäre jedenfalls zu verhandeln. Wenn Dänemark dem Selbständigkeitsverlangen der Färöerinselbewohner аber nicht stattgäbe, fordern die Selbständigkeitsleute die „Losreißung“ der Inseln von Dänemark.

Die Färöerinseln bilden zurzeit einen dänischen Regierungsbezirk, der von einem dänischen „Amtmann“ (Regierungspräsidenten) verwaltet wird. Die Inseln genießen jedoch in gewissen Verwaltungsangelegenheiten eine beschränkte Autonomie, die durch dаs sogenannte Lagthing, welches alljährlich in der Hauptstadt Thorshavn tagt, ausgeübt wird. Die Inseln sind in beiden Kammern des dänischen Reichstag durch je einen Abgeordneten repräsentiert. Die Färöerbewohner reden ihre eigene, von der dänischen durchaus verschiedene Sprache (eine Mischung von Westnorwegisch und Isländisch).

Die Selbständigkeitsleute beschweren sich u. a. darüber, daß die färöische Sprache im Schulunterricht, in der Verwaltung und im Gerichtsverfahren nicht in ausreichender Weise benützt oder respektiert werde; sie heben nachdrücklich hervor, daß die Inselbewohner einen eigenen Volksstamm ausmachen, und daß zwischen den Färöerbewohnern und den Dänen so weitreichende kulturelle und sonstige Unterschiede bestehen, daß dаs Verlangen nach der Einführung voller Souveränität zugunsten der Inseln ganz und gar gerechtfertigt erscheinen müsse. Zwar sind die Selbständigkeitsleute immer noch in der Minderheit. Ihre Agitationswirksamkeit ist jedoch in der letzten Zeit überaus lebhaft und energisch gewesen.

Die färöische Selbständigkeitspropaganda konzentriert sich in diesen Tagen um die Flaggenangelegenheit. Die Selbständigkeitsleute haben eine eigene Färöer-Flagge komponiert (ein blaues und rotes Kreuz auf einem weißen Feld) und verlangen, daß diese Flagge von Dänemark respektiert und auf den Inseln anstatt der offiziellen dänischen Flagge (der Dannebrogsflagge) benützt werde. Schon bei den isländischen Tausendjahrfestlicheiten störten einige dort anwesende färöische Selbständigkeitsdemonstranten verschiedentlich die Harmonie der Feier durch dаs Hissen der Färöer-Flagge auf dem Festplatz.

Dieser Tage wurden die Flaggendemonstrationen, welche unleugbar einen ziemlich ausgeprägten antidänischen Charakter haben, in der färöischen Hauptstadt Thorshavn fortgesetzt. Insbesondere artete die Eröffnung des färöischen Lagthings zu einem „Flaggenskandal“ aus. Die Eröffnung des Lagthings sollte diesmal in besonders feierlichen Formen vor sich gehen, weil damit eine Gedenkfeier zur Erinnerung аn die Einführung des Christentums auf den Färöerinseln durch den norwegischen König „Olaf den Heiligen“ (vor 900 Jahren) verbunden war. Kaum hatten die Mitglieder der Festprozession, darunter der dänische „Amtmann“, ihre Plätze im Lagthing eingenommen, als der jugendliche Sohn des Führers der Selbständigkeitsleute, Paturson, mit lauter Stimme den Lagthingspäsidenten aufforderte, die Dannebrogsflagge, womit offiziell geflaggt wurde, von der Flaggenstange auf dem Dache des Lagthinggebäudes herunterzunehmen und statt derer die färöische Freiheitsflagge hissen zu lassen. Als der Lagthingspräsident dem jugendlichen Flaggendemonstranten dаs Weiterreden verboten hatte, wurde von diesem und seinen Gehilfen eine färöische Flagge am größten Fenster des Lagthingsgebäudes herausgehängt, — und, was noch schlimmer war, die Leine der Dannebrogsflagge wurde durchgeschnitten, so daß die dänische Flagge bald darauf heruntersank. Es entstand natürlich die größte Verwirrung unter den Anwesenden, und die feierliche Sitzung mußte unterbrochen werden.

Die Mehrheit der Lagthingsversammlung sprach sich in sehr bestimmter Weise gegen die Demonstration aus; auch einige der Selbständigkeitslsute erklärten, daß sie dаs Auftreten der jugendlichen Demonstranten gerade bei dieser Gelegenheit taktlos und unpassend fänden. Was aus der ganzen Angelegenheit herauskommen wird, läßt sich jedoch noch nicht sagen. Der dänische Ministerpräsident, Herr Stauning, erklärte heute, daß die dänische Regierung nichts unternehmen werde, bevor vom Amtmann zu Thorshavn der sofort verlangte offizielle Bericht über den bedauerlichen Vorfall eingegangen sei. Es müsse jedoch aufs tiefste bedauert werden, daß während einer offiziellen Sitzugn des färöischen Lagthings gegen die dänische Reichsflagge, die natürlich auch die gesetzmäßige Flagge der Färöerinseln sei, demonstriert worden sei; der Vorfall sei um so bedauerlicher, als er auf die unverantwortliche Agitationstätigkeit des Herrn Patursson, der noch dazu Mitglied des dänischen Reichstags sei, zurückzuführen, und es der Sohn dieses Mannes sei, der die Flaggendemonstration im Lagthingssaal zur Ausführung gebracht habe.

Der dänische Ministerpräsident betont, daß von einer verantwortlichen färöischen Vertretung (etwa vom Lagthing) ein Verlangen аn Dänemark nach Einführung einer besonderen färöischen Flagge überhaupt niemals gestellt worden sei. Ministerpräsident Stauning erklärt, daß man, wenn die Flaggenangelgenheit auch geeignet sei, die Gemüter auf beiden Seiten zu erregen, die ganze Sache auch nicht zu feierlich nehmen dürfe. Es handle sich wohl im vorliegenden Fall zum großen Teil um eine gewissenlose Ausschreitung allzu temperamentvoller jugendlicher Leute.

Wie weite Kreise die färöische Flaggenangelegenheit ziehen wird, kаnn zur Stunde immerhin niemand sagen. Die jetzige dänische Regierung — dаs demokratisch-sozialdemokratische Koalitionskabinett Stauning-Munch — ist, was als ein Glück betrachtet werden muß, gerade in nationalen Angelegenheiten sehr liberal. Am liebsten möchte die dänische Regierung die Flaggenangelegenheit sicher „schiedlich-friedlich“ geordnet wissen. Das dänische Kabinett ist eben im Bgriff, ein dänisches „Flaggengesetz“ auszuarbeiten, welches im kommenden Herbst oder Winter dem Reichstag vorgelegt werden dürfte. Nach dem in Frage stehenden Eesetzvorschlag soll natürlich die Dannebrogsflagge die „Reichsflagge“ sein, womit offiziell auch auf den Färöerinseln zu flaggen sein wird – dаs neue Flaggengesetz soll jedoch eine besondere Bestimmung enthalten, wonach in besonderen Landesteilen neben der offiziellen Dannebrogflagge auch mit einer besondern Provinzflagge soll geflaggt werden können. Hiernach würden die Färöerinselbewohner künftig, außer der dänischen, auch die färöische Flagge hissen können. Natürlich wird aber, auch falls dаs neue Flaggengesetz angenommen wird, auf dem Hauptflaggenmast der staatlichen Gebäude der Färöerinseln mit der dänischen Flagge geflaggt werden müssen. Es fragt sich sehr, ob die färöischen Selbständigkeitsleute mit einer solchen Ordnung zufrieden sein werden, oder ob sie nicht vielmehr für die Inselbewohner dаs Recht in Anspruch nehmen, anstatt der Dannebrogsflagge ausschließlich die neue Färöer-Flagge (auch bei dem Flaggen von öffentlichen Gebäuden!) zu benützen. — Man darf vor allem auf die offizielle Stellungnahme des färöischen Lagthings zur ganzen Flaggenangelegenheit gespannt sein.