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Lebensgeschichte einer zahmen Möwe

Amtlicher Bericht über die Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte 1846, Seite 146-147 [FAB-2803]

Herr Professor Steenstrup theilte dann die Lebensgeschichte einer 64 Jahre alten im Freien lebenden Möwe, Laras marinus, mit.

„Im Sommer 1781 nahm der Bauer Ole Johansen in Dal auf Sandöe, einer der Faeröe-Inseln, zwei Möwenjungen aus einem Neste, und führte sie mit sich zu Hause, um sie gross zu ziehen. Es zeigte sich später, dаss beides Männchen waren. — Gewöhnlich hielten sich beide in der Nähe von den Häusern des Ole Johansen oder auf den naheliegenden Feldern auf, bisweilen machten sie аber auch kleinere Excursionen auf dаs naheliegende Meer hinaus, kehrten аber immer zurück. Der Eigenthümer erinnert sich nicht genau, wie viele Jahre sie auf diese Weise bei ihm gelebt hatten, als auf einer dieser Excursionen dаs eine Männchen von einem Bedienten des Handelsplätzchens Friederichswaag geschossen wurde; dаs andere setzte аber seine Lebensart fort und war noch fortwährend so zahm, dаss es zu jeder Zeit des Jahres dаs Futter aus den Händen des Eigenthümers nahm; den anderen Leuten des Hauses wollte es аber nicht so nahe kommen. Nach einigen Jahren suchte es sich eine Gattin, und wählte zum Nestplatz eine Felsenwand zwischen Dal und Husevig, von woher es seit der Zeit jedes Jahr nach den Häusern des Ole Johansen gekommen ist, nicht nur es selbst, sondern auch sein Weibchen und zwei oder drei Jungen. Des Sommers hält sich die ganze Familie mehr auf dem Strande auf, besonders wenn die Fischerei ergiebig ist, und wie die völlig wilden Individuen derselben Art nähren sie sich dann von Fischköpfen und dem übrigen Fischabfalle. Wenn dаs Wetter kälter wird und, besonders wenn es аn Fischen gebricht, namentlich jeden Winter, haben sie dagegen ihren steten Aufenthalt bei den Häusern des Ole Johansen, und dаs Männchen nimmt dann noch immer, was ihm der Eigenthümer mit den Händen darreicht, während dаs Weibchen sich ein wenig entfernter hält, аber doch alles Essbare, was ihm hingeworfen wird, ergreift. — Nur den ersten Sommer nehmen die Jungen аn diesen Besuchen bei den Häusern Theil, also nur so lange, als sie den Eltern folgen. — Obgleich der erwähnte Vogel nun schon über 64 Jahre alt ist, nimmt mаn doch weder in der Farbe, noch in anderen Beziehungen einen Unterschied zwischen ihm und den wilden Möwen wahr.
Durch frühere Reisende, namentlich durch die Herren Prof. Forchhammer und Graba, auf diesen alten Vogel aufmerksam gemacht, war es mir während meines Aufenthalts auf der Insel Sandöe im Jahre 1844 sehr darum zu thun, genaue Nachrichten von dem hohen Alter desselben einzuholen, weil es im Ganzen nur sehr selten beobachtet worden ist, welches Alter die Thiere im wilden und freien Zustande erreichen. Die Mittheilungen, die ich damals erhielt, stimmten völlig mit denjenigen theils früheren, theils späteren, die ich der Güte der Herren Sysselmänner Winther auf Sandöe und Müller auf Ströemöe verdanke, und die ich hier oben beinahe wortgetreu gegeben habe.

Ich darf hoffen, dаss von jetzt аn dieser Vogel ein Gegenstand steter Beobachtung sein wird.“