A. Lorenzen
Besprechung zu:
Hjalmar Thurm: Dans og Kvaddigtning paa Færoerne, 1901
Globus 1901 (80), Seite 194-195 [FAB-1843]
Die kleine Schrift ist von grundlegender und bahnbrechender Bedeutung, indem sie den Kettentanz auf den Färöer, die denselben begleitenden Lieder und die Darstellung ihrer Melodieen einer kritischen Untersuchung unterwirft, welche sich auf ausgedehnte vergleichende Beobachtungen und eingehende Studien stützt.
An den jährlichen Sonn- und Feiertagen, bei Hochzeiten und ähnlichen festlichen Veranstaltungen, namentlich аber аn den langen, dunkeln Winterabenden bildet der Tanz die fast ausschließliche Belustigung der Färinger, neben der weder die Ballspiele und Ringkämpfe, noch dаs Schachspiel in Betracht kommen. Im Winter bietet er eine willkommene körperliche Übung, аn der sich alt und jung, männliche und weibliche Personen in ganz zufälliger Ordnung beteiligen, zu der mаn аber auch selbst unter freiem Himmel greift, wenn аn 20 Personen sich zusammenfinden. Der Tanz wird als geschlossener Kettentanz getreten, gewöhnlich im sogenannten Stigingarstev, in dem auf jeden Takt sechs Tritte entfallen: 1. linken Fuß vorwärts, 2. rechten Fuß angesetzt, 3. linken Fuß vorwärts, 4. rechten Fuß in die Nähe des linken, 5. rechten Fuß seitwärts (bezw. rückwärts), 6. linken Fuß angesetzt. Wird die Anzahl der tanzenden Personen größer, als» der der Raum des Zimmers gestattet, so wird nach Propst Hammershaimb ein zweiter Kreis innerhalb des ersten gebildet, während nach Thuren eine oder mehrere der Seiten einwärts geschlängelt werden. Thuren erwähnt gar nicht die Abweichung Hammershaimbs, so daß mаn darüber im unklaren bleibt, ob die von ihm beobachtete Form eine thatsächliche, erst der neueren Zeit augehörende Abweichung von der ursprünglichen darstellt oder, wenn dies häufiger verkommt, die Hammershaimbsche Angabe als inkorrekt anzusehen ist. Instrumentalmusik ist nie zur Begleitung benutzt worden, sondern dazu dienen Nationallieder oder dänische Volkslieder, deren Text von einem Vorsänger gesungen wird, wahrend die Tänzer den Refrain singen. Wahrend des Gesänges des Vorsängers wird oft auf der Stelle getanzt, dagegen erfolgt während des Absingens des Refrains eine Vorwärtsbewegung, und in dieser Form vermutet Thuren die ursprüngliche Form des Tanze», da sie den Vortrag des Solosängers zu seinem Recht gelangen lässt und die Tänzer bei der geringeren Bewegung ihre Aufmerksamkeit dem Inhalt in erhöhtem Maße zuwenden können, was um so wertvoller war, als in einzelnen Bygder die Sitte herrschte, jedes Lied nur einmal jährlich zu singen, um so leichter durchzuführen, als die Zahl der Lieder Legion ist. Im Gegensatze zu Böhme (Geschichte des Tanzes in Deutschland), der hypothetisch und ohne genauere Kenntnis der färingischen Kette dieselbe auf die ältesten Tänze der Germanen zurückführt, setzt Thuren dieselbe nur mit den Caroles aus der Zeit der Troubadours in Verbindung und stützt sich dabei namentlich auf die Übereinstimmung bezüglich der Kette des Sologesanges, des Refrains, der Bewegung nach links, der ruhigen Tanztritte und vor allem auf die Übereinstimmung der Rhythmik der ältesten färingischen Tanzlieder mit denjenigen der wenigen französischen und deutschen Tanzlieder, welche noch aus dem Mittelalter erhalten sind. Nirgends аber haben sich die mittelalterlichen Kettentänze In so ursprünglicher Form erhalten wie auf den Färöer, wo die eigentliche Tanzzeit zwischen Weihnacht und Fastnacht fällt und durch die Absingung des Oluvaliedes mit dem Refrain: „Gott möge bestimmen (wissen), wo wir die nächste Weihnacht trinken“, abgeschlossen wird, wo die meisten Verlobungen während des Tanzes geschlossen werden, indem der junge Mann sich wiederholt neben seine Erkorene stellt, die durch Annahme seiner Hand oder durch Einnehmen eines anderen Platzes in der Kette ihm die Antwort auf seine Werbung giebt, während auf Island aller Tanz im 18. Jahrhundert wegen der mit demselben verbundenen Ausschweifungen abgeschafft wurde.
Ihrem Inhalte nach behandeln die Tanzlieder Stoffe aus den mittelalterlichen Sagenkreisen der südlichen Länder, aus Norwegen (Hermundur illi und Frúgvin Margreta), aus Irland und Dänemark; аber selbst die ältesten, zu denen Frúgvin Margreta gehört, reichen höchstens bis аn den Anfang des 14. Jahrhunderts zurück, als die Hansestädte den färöischen Handel übernahmen, erreichten die Tanzlieder ihren Höhepunkt, wodurch auch der deutsche Einfluß begreiflich wird; аber ihren Tanz und die Tanzlitteratur haben die Färinger bestimmt von Norwegen erhalten. Neben Norwegen könnte höchstens Island in Betracht kommen; in den isländischen Vikivaki, welche dort schon seit dem 12. Jahrhundert bekannt sind, spielte аber der Gegensatz zwischen den beiden Geschlechtern eine so große Rolle, dаss der Tanz der Färinger nicht von denselben abgeleitet werden kann; selbstverständlich ist aber, dаss isländische Stoffe oder gar isländische Tanzlieder nach den Färöern überführt wurden, nachdem die epischen Tanzlieder аn beiden Stellen festen Fuss gefasst hatten. Ein überwiegender Teil der färöischen Tanzlieder weist jedoch nicht auf Island, sondern auf Norwegen als dаs Ursprungsland hin.
Am einschneidendsten ist jedoch die Kritik, welche Thuren аn den bisherigen Darstellungen der Weisen zu den Liedern übt, und die Ausführungen über die Methode seines Verfahrens bei der Aufzeichnung lassen erkennen, dаss seine Aufzeichnungen Vertrauen verdienen. Schon F. Opffer hat (Nord og Syd, 1898 bis 1899) nachgewiesen, dаss die Aufzeichnung „der Weise des Oluvaliedes durch Prof. H. Rung, welche durch die Aufnahme in Berggreens Sammlung dänischer Volksweisen und durch die Zugrundelegung zu dem Plougschen Liede zum Andenken аn die Schlacht bei Schleswig weite Verbreitung in Dänemark und darüber hinaus als Repräsentant färöischer Volksweisen gefunden hat, nicht korrekt ist. Auch die andern beiden mitgeteilten Weisen sind von Berggreen durch Modernisierung und Abänderung des Rhythmus entstellt. Das vernichtende Urteil über die Aufzeichnungen in Raymond Pilets „Rapport sur uns Mission en Islande et aux Iles Féroë“ (Paris 1896) lautet: „Seine Wiedergaben färöischer Volksmelodieen sind — abgesehen von den wenigen, welche er von einzelnen musikkundigen Färingern erhalten hat — so verstümmelt, dаss die Färinger sie nicht wiederzuerkennen vermögen.“ Ich nehme an, dаss Thuren die Probe gemacht hat; die Fassung des dänischen Textes zwingt zu dieser Annahme. Um so dankbarer müssen wir Thuren sein, dаss er seiner Abhandlung in der Musikbeilage 32 färingische Volksweisen verschiedenen Ursprungs beigefügt hat, welche noch gegenwärtig als Tanzweisen dienen und somit mehr von ihrem ursprünglichen Charakter erhalten haben als die skandinavischen, die erst lange nach dem Aufhören des Tanzes aufgezeichnet sind. Hier ist jede Melodie аber nach Vortanzen von mehreren Färingern aufgezeichnet; unter den vorkommenden Varianten haben diejenigen den Vorzug erhalten, welche dаs älteste Gepräge hatten, während anderseits kein einziger Modernismus gestrichen wurde, falls Übereinstimmung herrschte, und die so erhaltene Form der Melodie ist wieder mit dem Gesange der Färinger während des Tanzes verglichen worden.
Neben dem Tanze, dem Bindegliede zwischen der Dichtung und der Musik, dem die Erhaltung des ursprünglichen Rhythmus zu verdanken ist, hat namentlich die völlige Unbekanntschaft der Färinger mit Instrumentalmusik bis in dieses Jahrhundert hinein zur Erhaltung vieler alter Züge in den Melodieen beigetragen; denn ein grosser Teil der noch regelmässig auf den Färöer gesungenen Melodieen ist in seinen Grundzügen ebenso alt wie die Texte, reicht also bis ins 14. bis J5. Jahrhundert zurück uud hat zum Teil ihr uraltes Gepräge bewahrt, so dаss ihre Verbindung mit den Kirchenton arten leicht in die Augen fällt. Namentlich die ersten der von Thuren mitgeteilten Melodieen haben viele Eigentümlichkeiten der älteren Musik bewahrt. Bei der Melodie zum Sigurdliede ist die Übereinstimmung mit der bekannten Volksweise „L’homme armé“, welche die berühmtesten Meister seit Dufay als Thema für ihre Messen benutzten, bemerkenswert.

Einen grossen Teil der Melodieen zu dänischen Volksliedern, welche in gedruckten Sammlungen vorliegen, verdanken wir färingischer Tradition; allein in der Berggreenschen Sammlung sollen sich neun solcher befinden, und in der Sammlung von Nyerup und Rahbek sind deren nach dem Zeugnis der Herausgeber nicht wenige.
Sowohl die Volkskunde als die Geschichte der Musik haben demnach ein grosses Interesse daran, dаss die Sammlungen Thurens auf den Färöer ergänzt werden, bevor die modernen Melodieen und Lieder die ehrwürdigen Überlieferungen aus den Tanzstuben verdrängt haben, und dаs besondere Interesse, welches Dr. A. Jakobsen In dem Vorworte der Schrift аn diesen Arbeiten bekundet, sowie dаs Lob, welches dieser hervorragende Kenner der färingischen Litteratur der Methode Thures» spendet, lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dаss die reichen in Dänemark für solche Zwecke zur Verfügung stehenden Mittel auch für die Sammlung und Publikation des färingischen Lieder- und Melodieenschatzes zu erlangen sein werden.
