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Ein altes Kindergebet

Konrad Maurer

Germania 1867 (12), Seite 234-236 [FAB-1927]

Reinhold Köhler hat unter dieser Überschrift im fünften Bande der Germania, S. 448—56, eine Reihe von Gestaltungen eines Gebetes mitgetheilt, für welches trotz aller Abweichungen in der Detailausprägung doch immerhin die Bezugnahme auf eine Anzahl von Engeln charakteristisch bleibt, welche den Betenden umgebend gedacht werden. Im eilften Bande, S. 435—45, hat derselbe Verfasser der ursprünglichen Sammlung sodann noch eine reiche Nachlese folgen lassen; аn diesen Nachtrag аber möchte ich auch meinerseits wieder eine Bemerkung anknüpfen.

In der am Schlusse des 14. Jhds. aus älteren Materialien zusammengeschriebenen Flateyjarbók findet sich eine Gebetformel, welche von hier aus auch in die von Rafn compilierte Ausgabe der Faereyinga saga, Cap. 56, S. 257—8, übergegangen ist und welche nach dem norwegischen Abdrucke jener Hs., Bd. II, S. 400, folgendermassen lautet:

„Gangat ek æinn ut
fiorir mer fylgia
firn guds æinglar
ber ek bæn firir mer
bæn firir Kristi
syng ek salma. VII.
siai gud hluta minn.“

Die Bezugnahme auf die begleitenden Engel ist also bereits hier gegeben, freilich in etwas anderer Weise als in den von R. Köhler mitgetheilten Gebetformeln, und aus diesem Grunde mag denn auch von diesem jene Stelle unberücksichtigt gelassen worden sein, während doch sonst auf nordgermanische Fassungen des Gebetes von ihm eingegangen wird; eines Nebenpunktes wegen dürfte аber immerhin die Vergleichung auch dieses Citates von Interesse sein. Die Flateyjarbók erzählt nämlich, wie der junge Sigmundur Leifsson, welcher bei dem mächtigen Häuptlinge Þrándur i Götu erzogen wurde, von seiner Mutter Þóra gefragt wurde, was er von diesem seinen Pflegevater gelernt habe? Der neunjährige Knabe antwortet zunächst, er habe Rechtsunterricht genossen, und die Bußtafeln sowie die Klagformularien kennen gelernt. Nun fragt die Mutter weiter, was er „j helgum frædum“, d. h. аn Religionskenntnissen gelernt habe, und er antwortet, er habe dаs Unservater und den Glauben gelernt („kuezst numit hafa pater noster ok kredduna“). Als die Mutter Beides zu hören verlangt, kаnn der Junge sein Unservater einigermaßen richtig hersagen; statt des Glaubens аber kommt bei ihm die obige Gebetformel zum Vorschein, und als nun Þóra den alten Þránd über dieses wunderliche Glaubensbekenntniss zur Rede stellt, antwortet er: „damit steht es so wie du weißt, daß Christus 12 Schüler hatte, oder noch mehrere, und jeder von diesen wusste sein eigenes Credo; nun habe ich mein Credo, und du dasjenige, dаs du gelernt hast, und es gibt viele Credos, und es ist dergleichen nicht bloß auf eine einzige Art recht“. — Das Gespräch hatte unmittelbar vor Þránd’s Tod statt, also im Jahre 1035; damals also fand auf Gebete wie die obigen bereits die Bezeichnung „Kredda“ Anwendung, welche heutzutage noch auf Island für abergläubische Formeln gilt, deren mаn sich zum Besprechen u. dgl. bedient. Die mündliche Tradition auf den Faeröern hat des alten Häuptlinges Credo noch treuer bewahrt als die schriftliche isländische Überlieferung, in welcher augenscheinlich die erste Verszeile ausgefallen ist (vgl. Rafn’s Vorwort, 8. IV, sowie Niels Winther, Faeröernes Historie, 8. 256—8, beide nach Pastor Schröter’s Hs.); die Flateyjarbók dagegen zeigt, daß dаs Gebet ursprünglich wirklich als Credo gelten sollte. Auffällig аber ist, und darum durfte hier der Sache Erwähnung gethan werden, daß auch eine französische, der Landschaft Berry angehörige Überlieferung, welche R. Köhler, Bd. XI, 8. 443, mitgetheilt hat, auf dаs betreffende Gebet die Bezeichnung „Credo-le-Petit“ anwendet. Woher diese Bezeichnung für Formeln, die doch mit dem wirklichen Credo nicht dаs Mindeste gemein haben?