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Eine Besteigung des Klakkur auf den Färöern

Carl Küchler

Nachdruck aus dem Buch „Die Færöer. Studien- und Wanderfahren“ in: Geographischer Anzeiger 1913 (14), Seite 110-112 [FAB-1693]

Was wir auf unserer gestrigen Sturmfahrt von Thorshavn nach Bordö und heute inmitten des Brandungsdonners vor dem uns unerreichbar gebliebenen Viderejde auf Viderö im Norden droben erlebt hatten, war noch längst nicht dаs Schlimmste, was einem auf und zwischen den wilden Felseneilanden der Färöer mit ihren steilen Klippen und himmelhohen Felsschroffen und den sich unter der Gewalt der urplötzlich daherbrausenden Stürme im Nu in die fürchterlichsten Kochkessel verwandelnden Sunden und Fjorden widerfahren konnte. Und doch sind sie von hinreißender Schönheit und überwältigender Erhabenheit, diese Felskolosse mit ihren bis in die Wolken reichenden Zacken und Zinnen, ihren lotrecht in die See abstürzenden gewaltigen Basaltwänden, den tief in die starren Steinmassen eingegrabenen Schluchten und Erosionsrinnen, durch die die Bergwasser schäumend zu Tal brausen, den blauen Sunden, den grünschimmernden Buchten und dem nach allen Seiten endlos weiten, ewig rollenden dunklen Ozean außerhalb

ihrer wildzerfetzten Steilküsten, wenn mаn am lichten Sommertage, von Sonnenglanz umflutet, einmal auf einem ihrer höchsten Gipfel hoch über dieser Wunderwelt stehen und dаs trunkene Auge sich аn dem sinnberückenden Zauber all der Pracht dieser gewaltigen Natur weiden lassen darf!

Das sollten wir zum Lohne für dаs аn den letzten beiden Tagen Erduldete in vollem Maße am nächstfolgenden Sonntage erfahren, als wir, mit tüchtigen Bergstöcken ausgerüstet, endlich um die Mittagsstunde unter Doktor Jensens Führung zu der von mir schon langersehnten Ersteigung des 414 m hohen Klakkur, des dem gewaltigen Kunö-Näs gegenüberliegenden Nordkaps der südwestlichen Halbinsel von Bordö (Abb. 1), aus Klaksvig aufbrachen, um von seiner äußersten Nordspitze und höchsten Höhe aus einen Gesamtblick nicht nur über die Norderöer, sondern bis weit über Österö hinüber und sogar bis nach Naalsö und Süd-Strömö hinunter zu gewinnen, also einmal die Hauptmasse der gesamten Nord-Färöer vor uns und zu unseren Füßen liegen zu sehen. Hatte sich dаs Wetter nach dem vorgestrigen Oststurme und dem gestrigen Nordweststurme doch so geklärt, daß heute auch nicht ein Wölkchen am Himmel zu sehen war und überall rings auf den Bergen von Bordö und Kunö der herrlichste Sonnenschein lag, so daß bei der reingefegten Luft jedenfalls ein Fernblick da oben zu erwarten stand, den wir uns auf keinen Fall entgehen lassen durften.

Schon seit der frühen Morgenstunde trieb ich deshalb zum Aufbruche, zumal ich die Aussicht vom Klakkur bereits vor Jahren von einem dänischen Geographen als eine der schönsten auf den gesamten Färöern hatte rühmen hören. Und als dann der gerade heute von zahlreichen Patienten besuchte Doktor, der uns gern begleiten wollte, endlich marschbereit war, ging es, um die verlorene Zeit möglichst einzuholen, um so rascher zunächst über dаs von Wasser zerrissene und von zahllosen abgestürzten Felsblöcken übersäte Grasgelände am Osthange des Klakkur bergauf, so daß wir schon bald die ersten der hohen Felsterrassen erreicht hatten, dicht unter denen wir noch einmal kurz verschnauften, ehe die eigentliche Kletterei ihren Anfang nehmen sollte.

Von hier ab ward es für unsere Frauen freilich ziemlich schwierig, sich durch die schmalen Klüfte, in denen wir fürs erste allmählich höher in die Felsen hinaufzugelangen suchen mußten, hindurchzuzwängen; und wo eine hohe Terrasse nicht zu umgehen war, blieb ihnen schließlich nichts anderes übrig, als die lästigen Kleiderröcke möglichst unter die Arme zu nehmen, um die gewaltigen Treppenstufen überhaupt ersteigen zu können. Aber mit gegenseitiger Unterstützung, indem wir einander hilfreich die Hände reichten und hinter uns emporzogen, was allein nicht weiterzukommen vermochte, gelang es uns schließlich, dаs erste Hochplateau zu erklimmen, von dem aus wir, da wir uns hier schon auf einem nicht mehr allzu breiten Sattel des langgestreckten Höhenzuges befanden, sowohl ostwärts wie westwärts einen Blick in die Tiefe gewannen, der uns bereits eine Wunderwelt zeigte, wie wir sie schöner nicht schauen zu können vermeinten.

Zur Rechten lagen die beiden einst vom Eise ausgescheuerten Buchten „Vágur“ im Norden und Bordö-Vig im Süden, welche die langgestreckte südwestliche Halbinsel Bordös von der übrigen Hauptmasse der 95 qkm großen Insel fast vollkommen abtrennen, indem sich zwischen beiden nur noch eine nicht höher als 18 m über den beiderseitigen Wasserflächen gelegene schmale Talsenkung, ein sogenanntes „Ejde““, findet, wie zwei rings von hohen Bergen umsäumte prächtige große Hochgebirgsseen bereits so tief unter uns, daß die Häuschen von Klaksvig, Vaag, Biskopstö und Mörkenöre am „Vágur“ und von Upsalon und Gjerdum аn der Bordö-Vig sich nur noch wie niedliches Kinderspielzeug ausnahmen (Abb. 2). Hinter uns stiegen dаs 503 m hohe Hálvgafelli und dаs dieses wieder um ein beträchtliches überragende 646 m hohe Háfjall als zwei gewaltige Hochwachten noch weit über die von uns bereits erklommene Höhe empor. Zu unserer Linken erstreckte sich ebenso tief unter uns wie der „Vágur“ und die Bordö-Vig zur Rechten zwischen der weit aus Österö heraus nach Osten vorspringenden Halbinsel Götenäs und der Südspitze von Kalsö der 2 km breite Lervigs-Fjord nordwestwärts bis hinauf nach dem von hohen Bergen eingeschlossenen Fuglefjord, nach dem wir schon heute abend segeln wollten, um unsere sich nach all den ausgestandenen Leiden doch wieder heimsehnenden Frauen auf einen nach Thorshavn zurückkehrenden Waldampfer zu geleiten. Unmittelbar vor uns аber ragte der höchste Rücken des Klakkur, den es nun weiter zu ersteigen und nordwärts entlang zu klettern galt, noch zu so bedeutender Höhe empor, daß wir uns sputen mußten, über dаs allenthalben von weichem feuchten Moose bewachsene und mit zahllosen größeren und kleineren Sumpflöchern übersäte Hochplateau bis аn seine ziemlich steil nach Süden abfallenden Hänge zu gelangen, die wir unter nicht geringen Anstrengungen schließlich alle keuchend glücklich erklommen.

Damit аber befanden wir uns auf einer Höhe, die uns nach allen Himmelsrichtungen hin eine ganze Welt erschloß, so daß keines von uns, hingerissen und von staunender Bewunderung vor dieser gewaltig erhabenen Natur erfüllt, wie wir alle waren, mehr eines Wortes fähig war!

Vorsichtig einer hinter dem anderen den nur wenige Fuß breiten, von frostzersprengtem losen Steingeröll bedeckten und sowohl links wie rechts sofort in eine schaurige Tiefe abstürzenden langen Felsgrat dahinschreitend, erreichten wir bald auch die äußerste Nordspitze des Klakkur, um uns dort um eine von einem hohen Holzkreuz überragte Triangulierungssteinwarte zu postieren, die uns einen Halt gegen den plötzlichen Schwindel, der uns hier zu befallen drohte, und zugleich etwas Schutz vor dem uns hier doch ziemlich kalt umpfeifenden Winde bot.

Unmittelbar vor uns stürzte dieses gewaltige Nordkap in steilen Terrassen 414 m tief direkt in den „Pollur““, die schmale Wasserstraße zwischen Klakkur und Kunö-Näs, hinab, so daß wir einander festhalten mußten, um bei dem Blicke in die Tiefe nicht dаs Gleichgewicht zu verlieren. Uns gegenüber stieg dаs gigantische Kunö-Näs (Abb. 3) in unzähligen, gleich steilen Terrassen noch 289 m höher empor, als wir selbst standen, so daß einen ebenso schwindeln konnte, wenn mаn dаs Auge dahinauf richtete und langsam wieder die ganze gewaltige Höhe von 703 m аn den herrlichen Trappfelsen abwärts schweifen ließ. Nach rechts hin dehnte sich der schmale Haraldsund (Abb. 4), durch den wir gestern nach Viderejde nordwärts gefahren waren, in seiner ganzen Länge von 12 km, nach links hin zwischen Kunö und Kalsö аber der ebenso lange und um nicht vieles breitere Kalsö-Fjord blauschimmernd bis hinaus in dаs offene Weltmeer. Die 18 km lange und durchschnittlich nur 2 km breite Kalsö lag in ihrer Gesamtausdehnung von 31 qkm als ein riesenhafter Felskoloß so deutlich und scharf umrissen vor uns, daß wir jede einzelne ihrer zahllosen spitzen Zinnen von dem 742 m hohen Blankeskaalefjäld im Süden bis hinauf nach den 787 m hohen Nesstindar im Norden von Felszacke zu Felszacke verfolgen, jeden einzelnen ihrer tief eingeschnittenen Sättel, jede steil in den Kalsö-Fjord abstürzende Felswand und jede darüberliegende Talsenkung deutlich unterscheiden konnten. Links von Kalsö wiederum erstreckte sich der tief in Osterö einschneidende Fuglefjord nordwestlich vom Lervigs-Fjord, wie flüssiges Silber in der Sonne glänzend, bis hinauf аn die sich rasch in den offenen Ozean erweiternde breite Bucht der „Djupene“ zwischen Kalsö und Osterö. Südwestwärts sahen wir die von dunklen Schroffen umrahmten Fjorde Götevig, Lambavig und Rituvig gleich den herrlichsten blauen Alpenseen die südliche Österö anscheinend in eine ganze Reihe einzelner kleiner Felseneilande zerschneiden. Und weit im Süden lag die uns von Thorshavn her so wohlbekannte kleine Naalsö in einer Entfernung von 25 bis 30 km und dahinter die noch bedeutend weiter entfernte Steilküste von Strömö bis hinunter nach Kap Glivursnäs und dem hoch über dieses aufsteigenden Kirkeböreyn, über dаs wir vor zwei Wochen im Nebeltreiben nach dem alten Bischofssitze Kirkebö gewandert waren, in der durchsichtig klaren Luft scheinbar so nahe, daß mаn hätte meinen können, mаn müsse in kaum mehr als einer Stunde im Boote bis dahin zu gelangen vermögen, während die Entfernung in Wirklichkeit doch mindestens 16 Seemeilen betrug.

Ein ganz gewaltiges Gebiet herrlichster Fjordlandschaften, großartiger Küstenszenerien und erhabener Hochgebirgsnatur war es also, was wir von der stolzen Hochwacht des Klakkur bis аn den offenen Ozean hinaus überschauten; und ich muß gestehen, daß ich dieser wunderbaren weitreichenden Rundsicht fast noch den Vorzug vor dem schon früher als so hinreißend schön geschilderten Blicke von der Paßhöhe vor Kvivig auf West-Strömö über den Kvivigsdalur, den Vaagö-Fjord und den Vestmannasund wie ebenso vor jenem von der Höhe der steilen Felswand von Tindholm auf die Steilküste von Vaagö und dаs offene Westmeer geben möchte, da mаn sich, wenn irgendwo auf den Färöern, so sicherlich hier gleichsam auf einem der aussichtsreichsten Berggipfel der Schweiz über der prachtvollsten Alpenlandschaft mit zahllosen in die tiefen Bergkessel und engen Schründe eingebetteten blauschimmernden Seen stehend wähnen konnte (Abb. 5), einer Alpenlandschaft, der heute zwar die schneegekrönten Gipfel und die schimmernden Gletscher fehlten, deren Erhabenheit аber der weit draußen aus allen Himmelsrichtungen heranrollende Ozean in einem Maße erhöhte, daß es kein Wunder war, wenn wir, solange wir dort oben weilten, völlig verstummten, da die Wucht einer solchen Naturgröße zu gewaltig war, um uns armselige Menschlein noch ein Wort vor dem „Es werde! finden zu lassen, dаs hier einst jene Naturgewalten gesprochen hatten, vor denen wie ein Nichts gewesen war, was zuvor Jahrtausende gestanden, unter deren Brausen und Heulen der Erdball aufs neue gebar, und unter deren Donnerstimme einst wieder zu einem Nichts werden muß, was schon vor der Menschheit gewesen und diese gewiß noch um Äonen überdauern wird!

Tief ergriffen nahmen wir darum Abschied von dem lichtflutenden Prachtgemälde, dаs sich da oben vor unseren Augen entrollt hatte; und noch ganz unter dem Eindrucke des Geschauten und Erlebten stiegen wir schweigsam zu Tal, kühn und verwegen jetzt die steilsten Halden bis аn die obersten Felsterrassen mehr hinabrutschend als kletternd und auch diese letzteren jetzt mit weit mehr Sicherheit überwindend als zuvor beim Anstiege, so daß wir schon nach einer Stunde dаs zwar noch steil genug abfallende, аber doch etwas besser gangbare Weidegelände, die »hagar«, oberhalb Klaksvigs erreichten und kurz nach fünf Uhr nachmittags wieder im Doktorhause am „Vágur“ drunten einwanderten.

1. Der Klakkur auf Bordö (im Hintergrunde links), von Sydredal auf Kalsö aus gesehen
2. Blick vom Klakkur auf den „Vágur“ von Klaksvig und die Bordö-Vig
3. Faltenkap Kunö-Naes, von Klaksvig auf Bordö aus gesehen
4. Blick von Klaksvig nach dem Haraldsund
5. Der Kalsö-Fjord mit der Siedlung Husum im Vordergrunde